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Blogs von Julia

Tagebuch Julia. Weiterbildungsseminar. 29.09.2007

 Heute war ein ziemlich anstrengender Tag für mich, denn ich war mit Jasintha (unserer Heimleiterin) und Latta in der Nähe von Kurunagala zu einer Art Weiterbildung für die Angestellten in Kinderheimen. Dabei habe ich ziemlich viel erlebt, also plant ein wenig Zeit zum Lesen dieses Berichts ein... Winken

Ich bin bereits um 5 Uhr aufgestanden, denn kurz vor sechs kam Rukmal vorbei und wir haben dann die beiden Frauen am Heim abgeholt und sind zur Bushaltestelle gefahren. Auf dem Weg dorthin bot sich uns ein schrecklicher Anblick: Auf der Hauptstraße von Marawila lag ein blutüberströmter toter Mann. Latta und Rukmal vermuteten, dass er von einem Auto angefahren wurde. Das erschreckende an der Sache war jedoch, dass der morgendliche Alltagstrott in Marawila bereits begonnen hatte, d.h. Kinder in Schuluniformen liefen umher, die Menschen öffneten ihre Shops an der Straße und einige waren bereits auf dem Weg zur Arbeit, aber niemand schien sich wirklich für die dort liegende Leiche zu interessieren. Alle gingen ihrer Wege und beachteten den Mann kaum. Als ich Rukmal dann ganz schockiert fragte, warum das so sei, erklärte er mir, das wäre normal in Sri Lanka. Als erstes müsste die Polizei kommen und die Sache aufnehmen. Ich fand diese Situation wirklich sehr erschreckend, zumal der Mann vielleicht anfangs noch lebte und er aufgrund dessen gestorben ist, weil ihm keiner geholfen bzw. ihn niemand ärztlich versorgt hat. In Deutschland wäre so etwas undenkbar und ich verspürte ein kurzes Gefühl von Dankbarkeit, dass meine Wurzeln in einer komplett anderer Welt liegen.

Nachdem wir an der Bushaltestelle angekommen waren, gab Rukmal den beiden Frauen noch einen kurzen Tipp, wie wir am besten Fahren sollten, da es wohl zwei mögliche Strecken nach Kurunagala gibt, die eine aber wesentlich kürzer sei. Also haben wir Rukmals Straßenkenntnis vertraut und sind in den ersten Bus gestiegen. Dieser war noch einigermaßen annehmbar, da wir nur in einen Nachbarort von Marawila gefahren sind, wo sich eine größere Busstation befindet, von der aus man in alle möglichen Richtungen fahren konnte. Ich hatte ja sowieso keine Ahnung, wann wir mit welchem Bus wohin fahren mussten und mich deshalb voll und ganz auf Latta und Jasintha verlassen. Nachdem wir ca. 15 min gewartet haben, sind wir in den nächsten Bus gestiegen, wo leider ein enormer Platzmangel herrschte. Wir mussten die ganze Zeit stehen und während der Fahrt sind immer mehr Menschen in den Bus gestiegen. Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Der Bus ist wirklich gerammelt voll und wir standen da wie die Ölsardinen (den teilweise recht unangenehmen Geruch der Singhalesen bereits am frühen Morgen mal außen vor gelassen). Trotzdem wird an jeder Bushaltestelle kurz angehalten und die Fahrgäste mit dem größten Durchsetzungsvermögen (oder mit der sportlichsten Gewandtheit) schaffen es tatsächlich noch, durch die offene Tür in den langsam fahrenden Bus zu springen und sich noch irgendwo dazwischen zu quetschen. Wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt, wird das beengende Gefühl im Bus dadurch aber nicht wirklich besser und wenn der Fahrer dann auch noch fährt wie ein Geisteskranker, ist man zwischendurch echt froh über die zahlreichen Stangen im Bus, an denen man sich festhalten kann (sofern sie nicht bereits durch tausend andere Hände besetzt sind). Einige Stationen weiter sind dann glücklicherweise auch mal ein paar Menschen ausgestiegen, nachdem ich schon fast das Gefühl hatte, alle haben dasselbe Ziel. Irgendwann wurden dann endlich auch die Sitzplätze auf unserer Höhe frei und ich war heilfroh, als ich mich dort niederlassen konnte. Dieses Glück hielt jedoch leider nicht lange an, denn bereits nach 4 weiteren Stationen machten mir Jasintha und Latta begreiflich, dass wir gleich aussteigen müssen. Um dies zu verwirklichen muss man allerdings auch schon 3-4 Stationen vor dem eigentlichen Ziel beginnen, sich durch den vollen Bus in Richtung Tür zu quetschen, da man sonst keine Chance hat, den Bus vor der Weiterfahrt zu verlassen.

Alles in allem verliefen auch die weiteren Busfahrten in ähnlicher Weise und wir waren ca. 2,5 Stunden unterwegs und sind mit 5 verschiedenen Bussen gefahren bis wir an unserem Ziel, einem Vorort von Kurunagala, angekommen sind. Dort haben wir erst mal heftig über Rukmal geflucht, weil er uns diese Strecke empfohlen hatte und beschlossen, auf der Heimfahrt die andere Route zu nehmen. Dann haben wir uns ein TukTuk genommen, welches uns schließlich zu dem Gelände gebracht hat, wo das Weiterbildungsseminar stattfinden sollte. Als wir endlich dort waren, fühlte ich mich, als ob ich bereits seit 3 Tagen unterwegs war und ich hätte alles für eine kalte Dusche gegeben. Aber nichts da – nun ging der Tag ja erst richtig los.

Das Schulungszentrum war ziemlich beeindruckend, fast wie eine kleine Universität. Überall befanden sich Gebäude mit großen Seminarräumen und in dem Garten wuchsen zahlreiche verschiedene Pflanzen. Als wir unseren Raum gefunden hatten, wurden wir dort gleich sehr freundlich von der Chefin vom Department of Probation and Childcare begrüßt, über welches diese Weiterbildung lief. Wir mussten uns dann in eine Teilnehmerliste eintragen und haben uns mit dem ausgehändigten Ablaufplan zu den anderen bereits eingetroffenen Zuhörern gesetzt. Der Schulungsraum war für singhalesische Verhältnisse schon sehr modern eingerichtet. Jeder Teilnehmer hatte eine eigene kleine Sitzbank mit Tisch, um sich Notizen zu machen. Außerdem gab es eine moderne Tafel, die man mit speziellen Stiften beschreiben und hinterher wieder abwischen kann (mir fällt der Name dafür gerade nicht ein) sowie einen Polylux. Zu meiner Freude befanden sich an der Decke auch 4 laufende Ventilatoren, die das Klima in dem Raum einigermaßen erträglich machten.

Normalerweise sollte das Seminar um 9 Uhr beginnen, bis jedoch alle Teilnehmer eingetroffen sind, war es ca. 10 Uhr – aber so ist das eben in Sri Lanka... Unentschieden  Als es dann endlich los ging, hielt zunächst die oben erwähnte Lady eine Begrüßungsrede und stellte die Inhalte des Seminars vor. Zwar habe ich kaum ein Wort verstanden, da natürlich alles nur auf singhalesisch war, aber trotzdem war ich von ihrer Vortragsweise recht angetan. Sie redete sehr flüssig, benutzte saubere und übersichtliche Folien und ging auf Fragen der Zuhörer ein. Hin und wieder machte sie auch einen kleinen Joke, was die Stimmung enorm aufheiterte. Das ganze Anfangsgeplänkel dauerte etwa eine Stunde und die eigentlich für 10.30 Uhr vorgesehene Teatime verschob sich erst mal auf 12 Uhr, was jedoch keinen der Zuhörer sonderlich zu stören schien.

Danach trat der erste Gastredner vor die Seminarteilnehmer... Man lese und staune: ein Psychologe! Er begann seinen Vortrag, in dem er die folgende optische Täuschung an die Tafel malte, die wahrscheinlich allen von euch bereits bekannt ist.

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 Man kann hier – je nach Betrachtungsweise – entweder zwei Seitenprofile oder eine Art Schale oder Kerzenständer sehen. Für mich war das nichts Neues, im Studium hatten wir zahlreiche solcher Bilder und deren Wirkungsweise auf unser Gehirn durchgenommen. Die Seminarteilnehmer bei der Weiterbildung schienen jedoch total begeistert davon zu sein und belohnten den Psychologen mit anerkennenden Gesten und Bewunderung. Von seinem restlichen Vortrag habe ich leider nichts verstanden, obwohl es mich schon sehr interessiert hätte, was ein singhalesischer Psychologe bei einer Weiterbildung so zu sagen hat.

Im Anschluss an diesen Vortrag, der nach Mimik und Gestik der Zuhörer sehr interessant gewesen sein musste, kam eine junge Frau nach vorne. Normalerweise war laut dem Zeitplan für ihren Vortrag eine Stunde eingeplant, da jedoch der Psychologe etwa 30 Minuten überzogen hatte und wir mit der Mittagspause schon in enormem Zeitverzug waren, kürzte man ihre Redezeit einfach mal auf 15 Minuten, worüber sich weder sie noch die Zuhörer beschwerten. Als ich Jasintha fragte, was diese Frau beruflich macht, erklärt sie mir, dass sie wohl im Bereich Kinderberatung tätig ist. Während ihres Vortrags war ein erheblicher Unterschied zum Vorherigen festzustellen: Die Männer unter den Zuhörern gaben sich eher gelangweilt und lediglich die Frauen begegneten ihr mit den gleichen zustimmenden Gesten, wie es zuvor alle Zuhörer bei dem Psychologen machten. Obwohl auch die Beraterin zwischendurch einige Späße einbaute, war den männlichen Zuhörern bei ihr kaum ein Lächeln abzuringen und nach ca. 5 Minuten wandte sie sich auch nur noch den Frauen zu. Obwohl ich wieder kein Wort verstanden hatte, kam eine nonverbale Botschaft sehr deutlich bei mir an: Frauen in höheren Positionen scheinen hier nicht den gleichen Respekt zu bekommen wie Männer – zumindest nicht vom anderen Geschlecht.

Gegen 14 Uhr war dann endlich mal eine längere Pause und wir gingen gemeinsam mit den anderen Seminarteilnehmern zu einem großen Essenssaal, den man sich wie eine Art Mensa in einer Universität vorstellen kann. Dort gab es natürlich Reis und Curry und ich war mal wieder der absolute Hingucker, als ich mich dort an den Tisch gesetzt und mit den Händen das scharfe Essen in mich reinschaufelte.

Nach der Pause stand noch ein weiterer Vortrag auf dem Programm, der auch einen praktischen Teil beinhaltete. Als der Redner den Seminarraum mit Laptop und Beamer betrat, hab ich schon das erste Mal gestaunt – so etwas sieht man in Sri Lanka nicht alle Tage. Als er den Rechner dann jedoch gestartet hat und eine PowerPoint-Präsentation öffnete, wäre ich bald vom Stuhl gekippt. Der Hintergrund der Folien war schon beachtlich: ein Feuerwerk! Allerdings war der gigantische Sound beim Wechseln der Folien für mich der Höhepunkt des Vortrags. Es ertönten jedes Mal andere Geräusche, im Prinzip alle, die man bei PowerPoint standardmäßig so einstellen kann. Wenn die Lautstärke dabei jedoch halb so laut gewesen wäre, hätten die Zuhörer vielleicht auch noch was von seinem Vortrag verstanden... Lachen

Als am Ende seiner Präsentation einige Bilderfolien kamen, wurde auch mir endlich klar, wovon der gute Mann die ganze Zeit gesprochen hat: Er stellte ein neues Bürosystem namens „5S“ vor, welches wohl aus China kommt und nun auch in Sri Lanka verbreitet werden soll, um mehr Sauberkeit und Ordnung in die Büros zu bekommen.

Der praktische Teil des Vortrags bestand dann darin, dass wir in das Verwaltungsgebäude des Schulungszentrums gegangen sind, in dem dieses System bereits angewandt wird, um uns ein Bild von der ganzen Sache zu machen. Obwohl ich weiß, dass Sri Lanka ein Entwicklungsland ist und ich das auch beachtlich finde, dass man sich mittlerweile wenigstens Gedanken um solche Sachen macht, musste ich mir bei dieser Vorstellung echt teilweise das Lachen verkneifen. In dem Anschauungsbüro befanden sich zahlreiche Aktenschränke, die alle bis ins kleinste Detail beschriftet waren, was sie beinhalten. Außerdem waren auf dem Boden Markierungen, wo welche Möbel zu stehen haben und sogar wo der Fußabtreter zu liegen hat. In einem großen Glaskasten hingen etwa 50 verschiedene Schlüssel, die alle mit einer Nummer versehen waren. Neben dem Glaskasten befand sie eine Riesen-Legende, auf der erklärt war, welcher Schlüssel für was ist. Das Highlight allerdings war: Alle Lampen und Ventilatoren in dem Büro waren sowohl am Schalter als auch an der Decke mit Nummern beschriftet, so dass man auch wirklich genau weiß, welchen Schalter man betätigen muss, um ein bestimmtest Licht oder einen bestimmten Ventilator einzuschalten. Im Prinzip war eigentlich alles in dem Büro auf irgendeine Art und Weise beschriftet, so dass es für meine Begriffe schon wieder verwirrend war. Allerdings schienen die Seminarteilnehmer (Jasintha und Latta eingeschlossen) sichtlich begeistert von diesem System und staunten über die vermeintliche „Ordnung“ in den Räumen.

Nach diesem Anschauungsbeispiel für die Anwendung von „5S“ sind wir zurück in unseren Schulungsraum gegangen und haben uns die Abschlussrede von einem anderen Mitarbeiter des Department of Probation and Childcare angehört. Gegen 16.30 Uhr war das Weiterbildungsseminar dann endlich zu Ende und wir haben uns auf die Heimfahrt gemacht. Da wir diesmal die andere Strecke gewählt haben, mussten wir nur mit 2 verschiedenen Bussen fahren, die zum Glück auch nicht mehr so voll waren wie in den Morgenstunden. Allerdings haben wir auch etwas mehr Zeit benötigt und sind gegen 20 Uhr wieder in Marawila angekommen. Die Heimfahrt war jedoch sehr lustig, da ich die meiste Zeit neben Latta gesessen habe und wir so manchen Witz über die Fahrgäste gemacht haben.

Alles in allem war dieser Tag für mich sehr erlebnisreich und ich habe auf keinen Fall bereut, dass ich mitgefahren bin. Allerdings kann das nächste Mal gerne jemand anderes mitfahren, denn wenn man das Ganze einmal gesehen hat, reicht es dann auch erst mal... Unschuldig

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