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Besucher

Fast wie früher – und doch nicht alles beim Alten. 23.04.2011

Ich fahre mit dem Fahrrad die Beach Road entlang und fühle mich auf wundersame Weise in der Zeit zurückversetzt. Vieles ist gleich geblieben: die Fischer, die ihre Waren in der sengenden Sonne auf dem Boden anbieten, die ärmlichen Hütten, deren Vorgärten jedoch trotzdem gepflegt aussehen, die Kinder,...

die `Bye` rufen (ich antworte kategorisch mit `Hello` und hoffe, dass wenigstens dieses eine Wort irgendwann hängen bleiben wird) und die Männer, die trotz ihrer Familien auf dem Roller hupen, wenn sie uns sehen. Doch es hat sich auch einiges verändert. Ganze Teile der Beachseite sind, bis auf Müll und ein paar Palmenblätter, vom Wasser leer gefegt worden, einige Hütten sehen aus, als wären sie provisorisch wieder aufgebaut worden, auf dem schmalen Streifen auf der anderen Seite der Straße liegen geflochtene Palmenblätter schräg von der Mauer zum Boden und bieten Menschen ein wenig Schutz und dort, wo sich vor nicht einmal zwei Jahren ein schöner Streifen Sandstrand befand, liegen nun nur noch große Steine, die die Brandung abfangen sollen. Der größte Unterschied für mich ist jedoch, dass ich dies alles diesmal nicht mit Manu gemeinsam erlebe, einer Freundin, die das Praktikum damals zusammen mit mir absolvierte. Deshalb fahre ich schweigend und denke im Stillen darüber nach, was mich wohl erwartet, wenn ich im Heim ankomme.

Ich bin ziemlich aufgeregt, denn ich kenne nur noch 16 der nunmehr 36 Mädchen, die jetzt im Angels Home wohnen. Dishna, Nisansala und Sanduni haben seit meinem Praktikum das Heim verlassen und viele neue Gesichter sind hinzugekommen. Ich habe jeden einzelnen Bericht auf der Homepage mit Spannung verfolgt, doch mir die Namen nur aufgrund von kurzen Beschreibungen und einem Foto zu merken, stellte sich für mich als unmöglich dar – bis auf die kleine Thilini natürlich, die mein Patenkind ist und auf die ich ganz besonders gespannt bin.

Julia, Svenja und Simone haben mir erzählt, dass die Mädchen sich alle sehr auf mich freuen – die Frage ist natürlich, was das bedeutet. Immerhin war ich 2009 nur zwei Monate hier und viele der Kinder kennen mich noch nicht. Außerdem haben sie teilweise schon so viele Praktikantinnen erlebt, dass ich mir nicht einbilde, in dieser Gruppe eine Sonderstellung einzunehmen. Deshalb bin ich sehr gespannt auf die Begrüßung der Mädchen, auch da ich mich daran erinnere, dass es bei einigen von ihnen damals eine Weile dauerte, bis sie Vertrauen aufgebaut hatten und sich dichter an mich heran wagten. Nun frage ich mich, ob ich wieder von vorne anfangen werde, oder ob wir an diesem Punkt anknüpfen können.

Als ich also vor dem Tor des neuen Angels Home stehe, klopft mein Herz wie verrückt – nicht nur, weil ich darauf gefasst bin, dass Buddy oder Sina mich gleich anfallen werden. Doch meine Sorgen sind unbegründet. Schon der erste Anblick des neuen Heims, das ich bisher nur von Bildern, Berichten und einem kurzen Video kenne, treibt mir vor Freude die Tränen in die Augen.Mein Patenkind Thilini Und dann sehe ich als erstes das scheue Lächeln des kleinen Mädchens, Thilini, das gespannt mit ihrem Blumenstrauss am Tor auf mich gewartet hat und nun auf mich zukommt. Der Bann ist sofort gebrochen und sie will meine Hand kaum noch los lassen, um mir die Chance zu geben, die anderen Mädchen zu begrüßen. Plötzlich lebt der Weg zum Haupthaus auf und von überall ruft es `Dani`s here` und Kinder rennen auf mich zu. Es gibt Küsschen und lange Umarmungen und plötzlich springt mir Piumi laut meinen Namen rufend auf den Arm, obwohl wir uns noch nie begegnet sind. Und sofort wird von allen Seiten gefragt, ob ich nicht wieder mit den Mädchen tanzen und singen kann und es werden die Lieder angestimmt, die ich ihnen vor so langer Zeit beigebracht habe. All diese Eindrücke sind schlichtweg überwältigend, besonders da dieser Augenblick mit den Mädels einfach alle Erwartungen übertrifft und mir zeigt, dass es das Richtige war, schon jetzt wieder zu kommen. Und schon in diesem Moment weiß ich, dass dies nicht mein letzter Besuch in Sri Lanka sein wird…

Seitdem sind nun bereits zwei Wochen vergangen und ich werde schon bald wieder die Rückreise antreten. Mein Besuch hier ist in vielem mit meinen Eindrücken von der Beach Road zu vergleichen: vieles ist gleich beglieben, aber so vieles hat sich auch unglaublich verändert. Ich blicke immer noch in strahlende, dankbare Kinderaugen, kleine Hände flechten mir Zopfgummis ins Haar und streichen fasziniert über meine weiße Haut, besonders die Kleinen konkurrieren um Zeit mit mir, aber auch Kindern wie Nadisha und Anne sehe ich an, wie sehr sie es genießen, wenn ich mit ihnen um die Wette laufe oder ein Spiel nur mit ihnen spiele. Ich habe sogar, obwohl Ferien sind, bereits wieder Nachhilfe gegeben, da Chathumini im Dezember ihre O-Level Prüfung absolvieren wird und ich ihr dabei zumindest mit meinen Englischkenntnissen helfen kann.Kuscheln Ich habe getröstet, Streit geschlichtet, gekuschelt, gespielt, gebastelt, gesungen, getanzt und auch manchmal etwas geschimpft – besonders dann, wenn die Kinder gestritten haben, sie Müll auf den Boden haben fallen lassen oder wenn eine von ihnen mal wieder mit den vom Spielen dreckigen Fingern an den schönen sauberen Wänden des neuen Heims entlang strich – wie ich heute zu Julia gesagt habe: wenn man einmal in der Rolle als Praktikantin war, legt man diese hier so schnell nicht mehr ab.

grundsteinlegung_9Was sich verändert hat, ist besonders das Heim. Als ich zum Praktikum hier war, wurde in einer kleinen Zeremonie gerade der erste Stein in den Boden gelegt, während ein Mönch und ein Priester für das Gelingen beteten und die Kinder die Nationalhymne und „Wer lässt die Sterne strahlen“ sangen, das ich ihnen kurz zuvor beigebracht hatte. Nun ist dieses unglaubliche Gebäude fertig und mit Leben gefüllt und es wird in ihm gelacht, gespielt und gelernt. Noch immer entdecke ich gut durchdachte Details, die mir beim ersten Rundgang nicht aufgefallen sind, und man spürt die Liebe, die Gedanken und die Zeit, die Frank und Julia in diesen Ort investiert haben. Den Mädchen eröffnen sich hier unglaubliche Möglichkeiten, die selbst ich nicht für möglich gehalten hatte und von denen viele Menschen in diesem Land nur träumen können, und als ich die Kinder fragte, wie es ihnen gefällt, grinste mich ein Mädchen an und sagte „like hotel!“ – jedoch darf man dabei natürlich nicht vergessen, dass die Mädchen hier bereits wirklich Schlimmes erlebt haben und es ihnen trotz aller Fürsorge und Unterstützung an dem fehlt, was in Sri Lanka das größte Gut darstellt: einer Familie.

Schmunzeln musste ich besonders, als ich bei meinem Rundgang daran dachte, wie Manu und ich die Mädchen danach gefragt hatten, was sie sich für ihr neues Zuhause wünschten. Die häufigsten Wünsche waren ein Computerraum und (meist mit einem Augenzwinkern) ein Schwimmbad – Ersteres befindet sich nun im Gebäude und das Zweite ist zumindest teilweise durch die beiden gemauerten Becken realisiert, die eigentlich zum Wäschewaschen gedacht waren, und die die Mädchen nun mit Begeisterung zum Baden verwenden. Manchmal werden Träume doch wahr…

Trotz alledem erfüllte mich der Anblick des alten Heims, das nun verlassen daliegt, mit einer unbestimmten Trauer, da all das, was ich hier erlebt habe, mit diesem Haus verbunden ist. Ich hoffe noch immer, dass es irgendwann wieder ein Teil des Angels Homes wird und wieder eine sinnvolle Bestimmung findet.

Fotoshooting mit... EshaniWas für mich besonders schön zu sehen war, war, wie sich einige der Mädchen verändert haben, wie offen Kinder geworden sind, die sich damals manchmal nicht trauten, sich mir gegenüber zu öffnen, wie sehr sich das Englisch einiger Kinder verbessert hat und wie sehr sich auch das Verhalten einiger Mädchen zum Besseren gewendet hat. Außerdem war natürlich interessant, plötzlich einige junge Damen anzutreffen, die ich als kleine Mädchen in Sri Lanka verabschiedet hatte. Die Freude im Umgang mit den Mädchen im Angels Home ist für mich noch immer dieselbe wie an meinem ersten Praktikumstag 2009 und ich komme mir schon fast so vor, als hätte es die Zeit dazwischen gar nicht gegeben, da wieder einmal die Hektik Deutschlands und alles, was dort für mich zählt und meinen Alltag bedeutet, hier in Sri Lanka keine so große Bedeutung mehr hat – bis auf meine Familie und meine Freunde selbstverständlich, auf die ich mich bereits sehr freue, um ihnen von meiner `Reise zurück` zu berichten.

Strand von ThalawilaNatürlich war ich in meinen zwei Wochen Urlaub nicht ununterbrochen im Heim. Zunächst hatte ich das große Glück, die Mädchen und das Personal auf den Übernachtungsausflug begleiten zu dürfen, durch den auch die letzte Scheu einiger Mädchen mir gegenüber verschwand. Besonders die Freude der Kinder, als ich mich dem Tanzen im Bus anschloss, das Plantschen am Meer und dass sich immer mehr Kinder auf und an mich kuschelten, als Harisha und ich abends abwechselnd Lieder sangen, werden mir wohl in Erinnerung bleiben. Ebenso wie das Waschen im Fluss auf dem Rückweg, bei dem wir alle unsere Kleider anbehielten und die Mädchen so ausgelassen waren, wie ich sie selten erlebt habe.

Auch für mein Verhältnis mit meinem Patenkind Thilini war dieser Ausflug sicherlich ein voller Erfolg, auch wenn es interessant war, zu sehen, wie sie mich mehr und mehr für sich beanspruchen wollte und wie schwer es für sie zu sein schien, wenn ich mich auch mit den anderen Kindern beschäftigte.

Nachdem die meisten Mädchen dann in die Ferien zu Verwandten gefahren waren, erkundeten Julia und ich dann noch fünf Tage die Insel und besuchten schließlich noch Yasmine Gooneratne in Colombo, eine srilankische Schriftstellerin, die eine Freundin meines Doktorvaters ist.

Nun bereite ich mich auf meine letzten Tage mit den Kindern vor, bemale mit ihnen Ostereier, packe mit Simone kleine Päckchen für Ostern und genieße jeden Augenblick, der mir mit ihnen noch bleibt. Ich habe wieder viel gelernt, vor allem, dass das Verhältnis mit den Kindern durch eine Rückkehr nach Sri Lanka anscheinend eher noch intensiviert wird. Dies sagte auch Julia bei unserem ersten Rundgang im Heim, als ich ihr von meiner Begrüßung durch die Kinder erzählte: die Mädchen freuen sich immer umso mehr, wenn eine Praktikantin wiederkommt, denn dann wissen sie, dass sie sich wirklich darauf verlassen können, diese nochmals wieder zu sehen. Ich bin gespannt, wie mein nächster Besuch bei den Mädchen im Angels Home wird. Er wird ganz sicher irgendwann folgen.

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