Ein tägliches Geben und Nehmen
Die Weihnachtsferien sind vorbei und damit auch bereits rund 1,5 Monate meines Praktikums im Angels Home. Als ich hier am 16. November angekommen bin, hätte ich nicht vorstellen können, dass ich mich in kurzer Zeit so gut einleben werde und mich schnell an den Rhythmus hier gewöhnen werde –
morgens ist kein Wecker mehr notwendig und abends falle ich schon um 9 Uhr ins Bett. In eineinhalb Monaten ist Vieles passiert: Mittlerweile kann ich alle 65 Mädchen bei Namen nennen, was mir am Anfang unmöglich schien. Ich habe gelernt, von 1 bis 10 auf Singhalesisch zu zählen und kann mir keinen Tag ohne Reis vorstellen. Um mein Resident Visa zu bekommen, war ich bereits in Colombo. Außerdem waren wir mit den Mädchen zusammen im Kino, um uns „Frozen“ anzusehen. Neben dem Puzzeln habe ich auch Malbücher für mich neuentdeckt, worauf ich in meinem städtisch-schnellen Alltag in Deutschland mit Sicherheit niemals gekommen wäre.
Vor allem konnte ich in den letzten Wochen aber die Mädchen besser kennenlernen und mir ein Bild davon machen, wer sie sind, was sie mögen, mit wem sie befreundet sind und wo ihre Stärken, bzw. Schwächen liegen. Dabei erfahre ich durch die unterschiedliche Sprache natürlich das ein oder andere Hindernis und muss mich teilweise nur auf die Übersetzung von Mädchen verlassen, die der englischen Sprache mächtig sind. Darüber hinaus hilft mir die ausdrucksvolle Art, Mimik und Gestik der Mädchen, um schnell zu verstehen, was sie meinen oder mir sagen möchten.
Während der Weihnachtszeit in Sri Lanka und im Angels Home zu sein, hat meine Erfahrungen und Eindrücke zusätzlich bereichert. Es war das erste Mal für mich, zu Weihnachten alleine in so einem fernen und exotischen Land zu sein, das nicht nur geographisch sondern auch kulturell weit entfernt von westlichen Traditionen ist und Weihnachten trotzdem mindestens genauso gerne feiert. Vor vielen Häusern katholischer Familien stehen sogar Weihnachtsbäume mit viel Schmuck und Lichtern und Weihnachtskrippen, die die Geburt von Christi darstellen. Dabei hatte ich oft das Gefühl, dass hier zu dieser Jahreszeit der Konsum und das Materielle nicht so sehr im Vordergrund steht, wie es in vielen westlichen Ländern der Fall ist. Der Fokus liegt hier viel mehr auf den kleinen Gesten und vor allem auf der Freude, Zeit mit seinen Nächsten zu verbringen und diesen mit einer Weihnachtskarte oder leckerem Essen eine Freude zu bereiten. Das ist mir vor allem aufgefallen, als die Kinder die Weihnachtskarten selbst gebastelt haben und wir jeden Tag nach dem Mittagessen ein Türchen unseres Adventskalenders öffnen durften. Die Kinder haben sich dabei so sehr über die kleinen Überraschungen in den Beutelchen gefreut. Selbst wenn sie schon gezogen worden waren und ein Geschenk bekommen hatten, waren trotzdem alle Mädchen mit Feuer und Flamme dabei, den Anderen zu applaudieren und sich gemeinsam über die kleinen Geschenke zu freuen.
Am Heiligabend waren wir dann in der Kirche und haben die Mitternachtsmesse besucht, nachdem ich zuvor mit Julia den Weihnachtsmann gespielt und heimlich die Geschenke für die Mädchen unter den Weihnachtsbaum gelegt hatte. Ich habe die Weihnachtsmesse sehr genossen, auch wenn diese rund 2,5 Stunden gedauert hat, ich kein Wort verstanden habe und viele der kleineren Mädchen zwischenzeitlich kurz eingeschlafen sind (ich für eine kurze Zeit auch, woran vor allem die älteren Mädchen ihren Spaß gefunden hatten). Ich freue mich, diese einmalige Erfahrung zur Weihnachtszeit gemacht zu haben, auch wenn ich natürlich meine liebsten Menschen vermisst habe.
Zu Silvester habe ich schließlich verstanden, warum alle Mädchen schon Monate davor von der Silvesterparty im Angels Home geschwärmt haben und mich mehrmals gefragt haben, ob ich dabei sein werde. Wir hatten einen DJ, tolle Musik, viele Lichter, leckeren Kottu (ein in Streifen gehacktes Roti mit Curry oder anderem Gemüse vermischt und heiß serviert) und kurz vor Mitternacht vier große Obstplatten. Zum Feiern des neuen Jahres haben sowohl die Mädchen als auch das ganze Team pausenlos getanzt, bis die Musik pünktlich um 2 Uhr verstummte und alle müde, aber überglücklich ins Bett gefallen sind.
Das letzte Monat meines Praktikums werde ich mit meiner neuen Praktikantenkollegin verbringen, worauf ich mich schon sehr freue. Ich werde mich beim Englischunterricht ausprobieren, was für mich neu ist und worauf ich schon sehr gespannt bin. Außerdem werde ich meinen Praktikumsauftrag im Rahmen meines Hochschulstudiums in Form von verschiedenen Gruppenspielen mit den Mädchen umsetzen. Vor allem werde ich aber versuchen, die Zeit hier weiter zu genießen und den Mädchen nicht nur möglichst viel mitzugeben, sondern auch – im Zuge des täglichen Gebens und Nehmens – viel von jedem einzelnen Mädchen für mich persönlich zu lernen und mitzunehmen.
Herzliche Grüße,
Hristina.
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