Ein Wechselbad der Gefühle
Es ist mal wieder Zeit, von meinen Erlebnissen hier in Sri Lanka zu berichten. Wie ich in meinem letzten Tagebucheintrag bereits erwähnt hatte, konnte ich die erste Woche im Angels Home mit Tara verbringen.
Dadurch, dass wir relativ ähnliche Einstellungen zu Dingen wie Konsum und Umwelt haben, konnten wir auch viel darüber diskutieren und uns austauschen. Es tut immer gut, wenn man eine Person hat, mit der man sich so austauschen kann. Wie sehr das fehlen kann habe ich in den letzten Wochen gemerkt. Auch schon früher ist mir immer wieder aufgefallen, dass mir manche Dinge erst so richtig bewusst werden oder man manche Dinge oder Geschehnisse auch anders wahrnimmt, wenn man mit jemandem darüber redet beziehungsweise davon erzählt. Seit einiger Zeit ist aber auch die liebe Laura als Praktikantin hier im Angels Home.
In meinen drei Wochen als einzige Praktikantin im Angels Home habe ich vermutlich alle Stimmungslagen durchgemacht, die es so gibt… Ich muss gestehen, es war nicht immer alles einfach. Da ich generell der Typ bin, der nicht gerne alleine ist und immer gerne von Freunden und Familie umgeben ist, musste ich mich erstmal daran gewöhnen. Es fehlte eine Person, die genau das erlebt, was ich auch erlebe und mit der ich darüber reden kann. Auch die Arbeit mit den Mädchen war anders als sie vermutlich mit zwei oder drei Praktikantinnen gewesen wäre. Man steht ziemlich im Mittelpunkt und erhält viel Aufmerksamkeit, was auf der einen Seite wirklich schön ist, auf der anderen Seite aber auch überfordern kann. Doch wenn man mal einen schlechten Tag hat, es einem gerade nicht so gut geht oder man vielleicht auch einfach nur müde ist, kann eine Umarmung oder auch nur ein Lächeln von einem Mädchen alles wett machen. Wenn man merkt, dass sie einen in einer relativ kurzen Zeit so ins Herz geschlossen haben und einem das auch zeigen, ist das das schönste Gefühl! Für solche Momente lohnt sich jede Anstrengung
Dadurch, dass man immer etwas zu tun hat und der Alltag schon zur Routine geworden ist, habe ich manchmal das Gefühl etwas aus dem Blick zu verlieren, warum ich hier bin. Für mich ist es wichtig, etwas zurückzugeben; Kindern, die nicht so privilegiert aufwachsen können, einen möglichst guten Start in ihr weiteres selbstständiges Leben zu geben. Dazu zählt auch eine gute Bildung, die wir durch die Englisch-Nachhilfe etwas unterstützen können. Wie in unserem Klassenzimmer hier im Angels Home auf einer Tafel steht: „Education ist the most powerful weapon to change the world!“ („Bildung ist die mächtigste Waffe um die Welt zu verändern!“).
Zu dem Gedanken etwas zurückzugeben passt -wie schon in meinem letzten Tagebucheintrag- ein Zitat von dem Autor Michie (Kurz zur Erklärung: Dieses Buch habe ich von einer sehr guten Freundin vor meiner Abreise nach Sri Lanka geschenkt bekommen und mich dadurch mit den Weisheiten des Buddhismus beschäftigt):
„Für diejenigen, die die Welt aus einer etwas globaleren Perspektive betrachten, wird diese Langeweile gelegentlich von einem düsteren Gefährten begleitet – dem Schuldgefühl. Wir wissen genau, dass wir im Vergleich zu vielen anderen ein relativ angenehmes Leben führen. Wir leben weder in einem Kriegsgebiet noch in bitterer Armut; wir werden nicht aufgrund unsereres Geschlechts oder unseres Glaubens benachteiligt; wir dürfen essen, was uns schmeckt, die Kleidung tragen, die uns gefällt und mehr oder weniger so leben, wie wir wollen.“
Diese Textstelle hat mich auch stark an meine Recherchen für meine Bachelorarbeit zurückerinnert. Ich habe untersucht, warum sich Menschen ehrenamtlich engagieren und bin in einschlägiger Fachliteratur auch auf den Begriff der existenziellen Schuld gestoßen. Des Weiteren wird ehrenamtliches Engagement häufig ganz einfach dadurch motiviert, dass man anderen etwas Gutes tun will und dabei nicht auf den eigenen Gewinn achtet. Und trotzdem bekommt man dabei selbst so viel zurück.
Michie erwähnt im Zitat auch viele Dinge, die für uns alltäglich sind. All diese Dinge lernt man erst so richtig schätzen, wenn man merkt, dass es nicht allen Menschen so geht. Ich bin dankbar dafür, dass ich in einem behüteten Umfeld aufwachsen konnten und dankbar für die Möglichkeit, an einem behüteten Umfeld für die Mädchen hier mitzuwirken.
Was mich an unserer Gesellschaft häufig stört ist, dass für viele Menschen alles selbstverständlich ist. Die vollen Regale im Supermarkt, die riesige Auswahl, Produkte vom anderen Ende der Welt, der volle Kleiderschrank und so weiter. Wenn davon irgendetwas nicht vorhanden ist, wird sich sofort beschwert. Was ich mir wünschen würde, wäre ein stärkeres Bewusstsein für all diese Dinge…
Aber genug der Negativität. Ich hoffe, dass durch diesen Tagebuchbeitrag ein kleiner Einblick in mein Leben als Praktikantin gegeben werden kann. Ich freue mich schon auf den nächsten Bericht.
Liebe Grüße,
Lisa
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