Wie aus dem Ungewohnten die Gewohnheit wurde
…und dass dies mal passieren wird, damit hätte ich tatsächlich nicht gerechnet. Zu sehr schätze ich doch meine gewohnte Routine, mein geordnetes Leben in Deutschland. Kaum vorstellbar also, dass man Dinge, an die man sich hier (vielleicht sogar auch mit etwas Mühe) gewöhnen musste, ganz normal findet und dann seine eigenen Gewohnheiten vielleicht sogar in Frage stellt.
Angefangen mit dem „Fingerfood“:
War die Vorstellung zu Beginn noch etwas sonderbar - alles mit den Fingern (bzw. der rechten Hand) zu essen - hab ich mich inzwischen total dran gewöhnt. Ich erinnere mich gut an meine Anfangszeit. Eines Abends haben wir bei Julia und Frank mit den Kindern Barbecue gemacht und das „New Year“ gefeiert. Dort gab es also unter anderem Würstchen, Fleisch, Salat und Tzatziki. Was erst etwas befremdlich wirkte, macht mir das Leben im Nachhinein wirklich ein Stück leichter. So denke ich mir also: Sollte diesen Sommer mal Besteck beim Grillen fehlen, ist das mit Sicherheit kein Beinbruch! Dann müssen halt wieder die Finger her.
In den letzten Tagen habe ich aufgrund einer kleinen Handverletzung allerdings wieder das Besteck hervorgekramt und war inzwischen sogar ziemlich genervt von dem Geräusch, welches das Besteck auf dem Porzellanteller verursacht. Kurz habe ich mich gefragt, ob es dieses Geräusch beim Essen mit Messer und Gabel wohl immer gibt. Aber na klar, mit Fingern essen ist halt einfach geräuschlos.
Auch das Barfußlaufen war für mich tatsächlich nicht üblich. Nichtmal in der Wohnung oder mit Fußbodenheizung würde ich das Zuhause machen, habe ich doch ganzjährig kalte Füße und liebe Socken viel zu sehr. Höchstens an heißen Tagen im Garten lief ich mal über das Gras ohne Schuhe zu tragen. Da Barfußlaufen hier aber ganz normal ist und im Haus generell keine Schuhe getragen werden, muss man sich wenigstens keine Gedanken machen welche man anzieht - wie praktisch! Ob Flip-Flops, Sandalen oder Sneakers, all diese Schuhe können getrost im Zimmer stehen bleiben und auf ihren Einsatz für die freien Tage warten. Sonderbar, wenn man sich dann plötzlich wieder entscheiden muss, welcher Schuh wohl am besten zur Kleidung und geplanten Aktivität passt.
A propos Kleidung, das gleiche Phänomen tritt natürlich auch bei der Kleidung auf. In Deutschland, wo kein Tag Kleidungstechnisch wie der andere ist, kann ich mir kaum vorstellen zwei Tage dasselbe anzuziehen. Hier im Angels Home wird uns die Entscheidung abgenommen, denn es gibt für die Praktikantinnen eine Uniform. Genau genommen zwei Exemplare davon. Ganz unspektakulär ist die Kleiderauswahl somit also, kein großes Nachdenken morgens vorm Kleiderschrank. Nun frage ich mich inzwischen auch: brauch ich denn diese ganzen Massen an Klamotten überhaupt die Zuhause in meinem Schrank auf mich warten? Das ewige vorm-Kleiderschrank-stehen und überlegen was ich wie kombinieren kann? Vielleicht werde ich mich auch „erschlagen“ fühlen wenn ich zurück bin und mich fragen, ob es denn nicht wichtigeres gibt als Kleidung zu shoppen, die im nächsten Jahr sowieso schon wieder aus der Mode ist. Wahrscheinlich wird es aber so sein, dass ich am liebsten alles auf einmal tragen möchte! Was ich übrigens nicht vermissen werde und was auch definitiv nicht zur Gewohnheit wird, ist das Wäsche waschen per Hand. Ich kann dazu nur sagen: Waschmaschine, ich liebe dich! Für mich ist immer wieder erstaunlich zu sehen wie brav die Kinder, selbst die Kleinsten, jeden Abend ihre Kleidung per Hand am Waschplatz waschen.
Es gibt auch noch andere Dinge über die wir Praktikantinnen am Anfang besonders viele Gedanken gemacht haben. Genau, die Tiere.Denn die Tiere die wir hier teilweise im Garten haben sind natürlich etwas anders als in Deutschland. Das schlimmste was uns in Deutschland im heimischen Garten passieren kann ist einen Stich von einer Biene oder Wespe abzubekommen. Hier könnte es der Biss einer giftigen Schlange sein. Zu Beginn sind wir noch vorsichtig unterwegs gewesen oder haben sogar abends unseren Essenplatz mit einer Taschenlampe ausgeleuchtet nachdem wir ein paar Tage zuvor Besuch einer giftigen kleinen Schlange dort hatten. Inzwischen finden wir mal eine große Schlangenhaut im Garten und denken so: Oh, schon wieder, dass wird ja langsam zur Gewohnheit!
Dann gibt es noch die Läuse. Klar, dass man dort, wo viele Kinder sind, nicht unbedingt um die kleinen Krabbeltiere herum kommt. In der Heimat gelten Läuse weiterhin als ein Zeichen von unhygienischem Lebensstil und Ungepflegtheit. Hier sind sie ein Stück weit Teil des Lebens. Ich hätte niemals gedacht, dass mal der Zeitpunkt kommt, wo mir die Vorstellung Läuse auf dem Kopf zu haben und abends meine Haare danach abzusuchen, nichts mehr ausmacht - war doch der Ekel kleine Tierchen auf dem Kopf zu haben immer riesengroß.
Es gibt bei mir also einige Dinge die sich verändert haben, sich unbewusst in den Alltag eingeschlichen haben, ohne dass man es tatsächlich wahrnimmt. Es sei denn, man sitzt an seinem freien Tag auf seinem Bett und lässt die vergangenen Wochen Revue passieren. Eine Woche ist noch übrig von meinem 10-wöchigen Aufenthalt hier im Angels Home und ich bin gespannt inwiefern diese kleinen Dinge, die hier so zur Gewohnheit wurden, mir bald wieder ungewohnt vorkommen.
Beste Grüße aus dem Angels Home,
eure Katharina
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