Hoffnung auf ein besseres Leben
Gleichgültig schwappen die Wellen an den Strand und bilden einen eigentümlichen Rythmus mit dem Geräusch des Besens, der über den Boden fährt. Sorgfältig fegt Owani das Laub zusammen. Sie muss sich beeilen, die Mutter braucht ihre Hilfe. Den Vormittag über hatte sie Zeit gehabt Besen zu binden - morgen ist Markt, da muss alles fertig sein.
Prüfend wirft sie ihrer kleinen Schwester einen Blick zu. Wenn man sie zu lange aus den Augen lässt, macht sie nur Unsinn. Shammi ist gerade fünf geworden und wird bald zur Schule gehen. Owani ist neidisch auf ihre kleine Schwester, weil sie selbst nicht mehr die Schule besuchen kann. Dieses Jahr wäre sie in die 10. Klasse gekommen, aber der Vater entschied, dass sie hier im Haushalt dringender benötigt wird. Das stimmt auch, das Geld ist immer knapp und seit die Schwester zum Arbeiten ins Ausland gegangen ist, fehlt eine helfende Hand im Haus. Seit sechs Monaten ist sie nun schon weg, gehört haben sie noch nichts von ihr. Die Mutter macht sich Sorgen, aber spricht nicht darüber.
„Owani!“, die Stimme der Mutter ertönt aus dem kleinen Haus, an dem nur die Seite zur Straße hin verputzt ist. Das Mädchen fährt hoch, zieht Shammi auf ihren Arm und räumt den Besen auf. Sie müssen mit dem Mittagessen beginnen, denn ihr Bruder Didula ist hungrig wenn er aus der Schule kommt. Wenn Didula ein bisschen mehr lernen würde, könnte er dieses Jahr sein O-Level ablegen. Owani ist fast wütend bei dem Gedanken. Ich hätte es bestimmt geschafft, denkt sie.
Owanis Familie stellt eine typische Familienstruktur dar: Die Kernfamilie besteht aus dem Vater, der Mutter und den unverheirateten Kindern. In der Regel führt die Familie einen eigenen Haushalt. Selbst wenn aus ökonomischen Gründen mit Verwandten zusammen gelebt wird, kocht die Frau für ihren Mann und die Kinder. Das Kochen steht für die Individualtität der Familie und so hat jede Frau ihre eigene Kochstelle.
Die höchste Autorität der Familie ist ihr ältestes männliches Mitglied, also der Vater, Ehemann, Bruder oder Sohn. Unabhängig von der ethnischen Gruppe oder Religion gibt es eine klare Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Demnach bestimmt der Mann das Familienleben und repräsentiert die Familie nach außen. Zu seinen Aufgaben zählen das Verwalten des Besitzes, der Schutz von Frau und Kindern, sowie die materielle Versorgung.
Die Frau hingegen ist für den Haushalt verantwortlich. Neben dem Kochen darf sie im Bereich Säuglingsversorgung und Gesundheit mitreden. Trotzdem sind die meisten Frauen berufstätig, so helfen die Bäuerinnen zum Beispiel bei der Saht und Ernte. In der ärmeren Bevölkerungen üben sie oft harte Vollzeitjobs aus, um den Familienunterhalt mit zu finanzieren.
Die Kinder sind im Säuglingsalter Aufgabe der Mutter, sind sie älter nimmt sich der Vater eher dem Sohn und die Mutter der Tochter an. Allgemein sind Jungen erwünschter als Mädchen, da sie später dem Vater zu Hand gehen können und bei der Heirat keine Mitgift nötig ist. Trotzdem ist ein Mädchen als erstes Kind willkommen, da es im Haushalt behilflich sein und auf die jüngeren Geschwistern acht geben kann. Ab dem Teenageralter beginnen sie die Rollen der Erwachsenen zu übernehmen.
Jungen helfen dem Vater beispielsweise auf dem Feld oder beim Fischfang, während sich die Mädchen als Haushaltshilfe nützlich machen. Körperliche Strafen vor allem gebenüber Jungen sind leider normal und gesellschaftlich akzeptiert. Auch in der Schule kommt entgegen dem Gesetzt noch immer der Stock zum Einsatz.
Während des Überganges vom Kind zum jungen Erwachsenen werden die Jugendlichen also strikt in diese feste Rollenverteilung gepresst und auf das nahezu wichtigste im Leben (einer Frau) vorbereitet: Heirat und den Haushalt führen. Spätestens wenn Owani das 24. Lebensjahr erreicht, wird sich ihre Familie mit dem Thema Hochzeit auseinander setzten. Heirat ist immer noch der größte Wunsch vieler junger Frauen und Mädchen. Darin brigt sich ihre Hoffung auf Sicherheit und Glück. Da trotz einer Tendenz zu mehr „Liebesheirat“, die meisten Ehen arrangiert sind, bleibt ungewiss ob sich diese Hoffnung erfüllt.
Der zukünftige Partner muss zunächst einige Kriterien erfüllen: Er sollte aus der gleichen ethnischen Gruppe stammen und ähnlich vermögend sein. Zudem sollte der Mann einige Jahre älter, größer und gebildeter als seine Braut sein. Auch wenn Heiratsvermittler gerne zu Rate gezogen werden, ist es in Sri Lanka weit verbreitet, seinen Cousin oder die Cousine zu heiraten. Daher wird oft eine enge Beziehung zur Tante oder dem Onkel gehalten, da diese schließlich die Schwiegereltern werden könnten. Gerade in ländlichen Gebieten steht seit der frühen Kindheit fest, wer der spätere Ehepartner sein wird und die Zukünftigen wachsen in nächster Nähe von einander auf. Für eigene Träume und Lebensvorstellungen bleibt da wenig Platz, der Lebensweg ist vorgefertigt. Zweck dieser sogenannten „Cross-Cousin-Marriage“ ist es die Reinheit der Familie zu bewahren und den Besitz in der Verwandtschaft zu halten.
Nach der Hochzeit wird vorzugsweise ein Haus in Nähe der Familie des Bräutigams bezogen. Viele Frauen, vor allem aus der Mittelschicht stammend, hören dann– oft auch auf Wunsch des Mannes - auf zu arbeiten. Die gute Bildung dient lediglich als Pluspunkt der Partnerin.
Trotzdem verbessert sich die Bildung für Mädchen langsam, und sorgt so zusammen mit Aufklärungsarbeit für eine sinkende Geburtenrate. Mittlerweile sind Geburten- und Sterberate in Sri Lanka fast ausgeglichen. Ein Grund seine Tochter nicht auf die Universität zu schicken ist, dass die dort vermittelten Werte (Unabhängigkeit, Aufklärung) teils im Gegensatz zu den Werten der Familie oder der Rolle der Frau stehen.
Auch wenn es generell gerne gesehen wird, dass die Frau nicht arbeitet und sich um den Haushalt kümmert, müssen viele aus ökonomischen Gründen die Haushaltskasse unterstützen. Leider arbeiten sie meist unterbezahlt und in schlechten Bedingungen, sodass sie die am meisten unterdrückte und ausgebeutete Bevölkerungsgruppe des Landes darstellen. Da sie die Mehrheit der Arbeitskräfte stellen, stützten die Frauen die drei wichtigsten Wirtschaftszweige Sri Lankas.
Dazu gehört zum einen die traditionelle Teeproduktion. Die überwiegend tamilischen Frauen arbeiten hier für weniger als 500 Rupies am Tag und haben somit das geringste Einkommen das ganzen Landes. Das ist zudem unsicher, da die Arbeitstage kurzfristig wegen des Wetters gestrichen werden können und sie dann unbezahlt bleiben. Kaum überraschend ist die hohe Anzahl an unterernährten Kindern in diesem Teil der Bevölkerung. Für die Kinder der Arbeiter gibt es extra Schulen in der Nähe der Plantagen. Der Bildungsstandard ist dort so niedrig, dass weniger als ein Prozent später die Universität besuchen kann. Somit wird ihnen der Weg aus der Armut durch Bildung praktisch genommen.
Die Arbeit in den Textilfabriken war für Frauen zunächst eine Verbesserung: Durch das selbst verdiente Geld und eine eigene Arbeit war mehr Eigenständigkeit geschaffen. Doch werden jetzt die Arbeitbedingungen immer schlechter, es wird mit Unterdrückung und Drohungen gearbeitet und der Lohn wurde seit Jahren nicht mehr angeglichen.
Besonders gefährdet sind Frauen, die zum Arbeiten ins Ausland gehen, wie Owanis Schwester. Der Staat freut sich über die große Anzahl, denn an den Devisen der Gelder, die ins Land geschickt werden, verdienen sie gut. Die Situation vieler Arbeiterinnen ist schlecht: Sie sind nicht nur alleine weit entfernt von Freunden und Familie, sondern haben mit schlechten Arbeits- und Lebensverhältnissen zu kämpfen. Oftmals wird ihre schutzlose Lage von den Arbeitgebern schamlos ausgenutzt und sie werden Opfer von sexuellen Übergriffen, Gewalt oder Zwangsarbeit. Die Arbeit im Ausland ist auch Grund die Kinder in ein Heim wie das „Angels Home“ zu geben.
Neben den schwierigen Arbeitsverhältnissen haben viele Frauen mit häuslicher Gewalt zu kämpfen. Diese ist scheinbar vom Großteil der Bevölkerung gesellschaftlich akzeptiert und viele betroffene Frauen wissen nicht, dass häusliche Gewalt ein Verbrechen ist. Die feste Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, der Glaube an die Überlegenheit des Mannes, sowie dass ihm als Familienoberhaupt sogar Besitzrecht an Frauen und Mädchen zugesprochen wird begünstigen dies. Auch wird Gewalt als Lösung von Konflikten in der Gesellschaft akzeptiert. So wird angenommen, dass ca. 60% der Frauen einmal häusliche Gewalt in ihrem Leben erfahren. Leider wird die Problematik in der Öffentichkeit oft verharmlost und trivialisiert. So glauben viele Frauen häusliche Gewalt sei normal oder sie hätten sie verdient.
Auf Grund der überlegenen Stellung des Mannes ist Aufbegehren gegen diesen gesellschaftlich verpönt und macht die Frauen, die sich dennoch trauen, oft zu Außenseiterinnen. Außerdem gilt es als Pflicht der Frau die Familie zusammen zu halten. Wie verfestigt die Rollenvorstellungen von Mann und Frau sind, zeigt eine Umfrage in der 26% der Männer und sogar 38% der Frauen zustimmen, dass „es unter gewissen Umständen in Ordnung ist seine Frau zu schlagen“. 78% der Männer und 87% der Frauen geben an, dass „die Frau dem Mann gehorchen sollte“.
Viele Opfer suchen aus Angst vor Erpressung oder Belästigung keine Hilfe bei der Polizei. Hoffnung auf Besserung brachte 2005 die Verabschiedung des „Prevention of Domestic Violence Act No 34“, mit welchem häusliche Gewalt gesetzlich verboten wurde. Leider ist die Umsetzung ungenügend, sodass viele Täter straffrei bleiben. Eine weitere Lücke im Strafrecht ist, dass Vergewaltigung in der Ehe nicht existiert, sondern als „eheliches Recht“ der Männer betrachtetwird. Eben weil so viele Opfer keine Hilfe bei der Polizei suchen, ist es schwierig festzustellen, wie viele Vorfälle von häuslicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen es wirklich gibt. Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch.
Wer denkt häusliche Gewalt ist nur in einem Schwellenland wie Sri Lanka ein so großes Problem, irrt leider. 42% der Frauen in Deutschland haben seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt.
Auch die Mädchen die zu uns ins „Angels Home for Children“ kommen, haben oft häusliche Gewalt erlebt und es ist meistens unübersehbar welche Spuren derartige Erlebenisse bei einem Kind hinterlassen.
Ob Owani derartige Erfahrungen erspart bleiben, ist ungewiss. Fest steht, dass ihr weiterer Lebensweg von Eltern und Ehemann bestimmt wird. In den nächsten Jahren werden die Eltern einen Lebenspartner für Owani aussuchen und nach der Heirat werden Kinder und Haushalt zu ihren Aufgaben oder sie wird zusätzlich mit einfachen Arbeiten wie dem Besenflechten zur Haushaltskasse beitragen. Um eigene Träume und Vorstellungen zu verwirklichen bleibt vermutlich kein Platz.
Trotzdem macht Sri Lanka positive Fortschritte: Die Tendenz zu mehr Liebesheirat steigt stets und die Möglichkeiten für Frauen Jobs zu ergreifen, die zuvor Männern vorbehalten waren, wachsen. So kann sich Owanis kleine Schwester Shammi ihren Partner vielleicht schon selbst ausssuchen und nach der Universität einen Beruf ihrer Wahl ergreifen. Zu hoffen wäre es.
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