Vorstellung vs. Realität
Es gibt ein paar Aspekte an dem Praktikum, die ich mir zuvor anders vorgestellt hatte, als sie letztendlich sind. Natürlich war ich die Zeit bevor ich hier her gekommen bin sehr aufgeregt und habe mir in allen möglichen Farben und Formen ausgemalt, wie das Praktikum, die Kinder, das Land wohl so sein wird. Hier angekommen, wird einem schnell bewusst, dass viele Dinge anders sind und laufen, als in der eigenen Vorstellung.
Was mir bereits auf der Fahrt vom Flughafen ins Angels Home aufgefallen ist und anfangs doch etwas schockiert hatte, war wie arm die Leute hier doch tatsächlich sind. Natürlich war mir klar, dass der Wohlstand nicht mit dem der westlichen Welt zu vergleichen sein kann. Dass die Menschen hier aber teilweise in Ruinen, fast slumartigen Gegenden wohnen, das war mir zuvor nicht bewusst. Generell hört man von Sri Lanka meistens nur Schwärmen über goldene Strände und sattes Grün im faszinierenden Hochland. Diese äußerst arme Seite rückt in Gesprächen über den Inselstaat nur sehr selten in den Mittelpunkt. Ich erinnere mich an meinen ersten Ausflug nach Chilaw. Ich hab mich einfach treiben lassen und bin durch die Gassen gelaufen. In der einen schreiende, herumlaufende Kinder, in der anderen eine Gruppe Männer, die es sich auf einer Decke gemütlich gemacht hat und Karten spielt. Die Frauen hängen die Wäsche auf die Leinen, was selbst den heruntergekommeneren Gegenden einen gewissen Charme verleiht. Und dann stand ich da auf einmal an dieser ungewöhnlich stillen Kreuzung und erblickte auf der anderen Straßenseite einen Hund, dessen Haut schlapp von den Knochen hing und kein Fell mehr trug, an einem Mülleimer herum schnuppern.Hinter ihm: Eine Landschaft von Blechhütten. Ich bekam einen Kloß im Hals und mein Puls begann zu rasen, das Bild, das ich vor mir hatte, sah so verzweifeltes aus, dass ich den Anblick nicht ertragen konnte, direkt kehrt machte und mich zügig von diesem Ort distanzierte. Mir war nun klar, von welcher Armut Sri Lanka teilweise betroffen war und dieses Bild wiederholte sich in den Ausflügen nach Negombo und Colombo leider öfters.
Vor allem in Colombo gibt es Ecken, die nicht so versteckt liegen wie in Chilaw, wo es den Menschen wirklich schlecht geht und sie am Existenzlimit leben. Genau so verhält es sich auch hier in Marawila, besonders in der Beach Road sieht man oft Familien vor viel zu kleinen Hütten sitzen. Ich schämte mich fast ein wenig dafür, Sri Lanka für das Paradies gehalten zu haben, in dem es arme Leute gibt, wie überall sonst halt auch. Aber ich bin mir sicher, dass mit diesem Bild viele Touristen nach Sri Lanka reisen, und letztendlich vielleicht sogar teilweise enttäuscht sind.
Ehrlich gesagt hatte ich mir auch die Kinder im Angels Home etwas anders vorgestellt, als sie sind. Mein naiver Gedanke war: „Die werden sich doch freuen und dankbar sein, dass wir Praktikantinnen extra aus Deutschland kommen um ihnen Englisch beizubringen“. Tja, Pustekuchen. Natürlich sind die Kids hier wie überall sonst auch: frech, laut und immer darauf bedacht, die Grenzen der neuen Praktikantinnen auszutesten. Wie im vorletzten Bericht beschrieben, muss man erst mal lernen, mit ihnen umzugehen, bevor man Zeichen von Dankbarkeit oder Respekt empfängt.
Eine Sache, die ich mir vor Praktikumsbeginn jedoch komplizierter vorgestellt hatte, als sie in Wirklichkeit ist, ist die natürliche Begeisterungsfähigkeit und Motivation der Mädels. So habe ich mir teilweise schon den Kopf darüber zerbrochen, wie man bevorstehende Playtimes mit ihnen gestalten könnte, sodass ihnen auch bloß nicht langweilig wird. Dass das das kleinere Übel war, erkannte ich schnell. Wenn ich mich mit ihnen auf den Hof stelle, wir „Fire, water, storm“ spielen und ich sie dabei anfeure, dann rasten die Kleinen schon mal ganz gerne aus und erfreuen sich daran bis ins Unendliche. Oder auch ein Volleyballspiel, in dem sie noch nicht mal selbst involviert sind, kann sie total begeistern und dazu animieren, lautstark ihr Team zu unterstützen. Natürlich ist das ein Aspekt, der die Zeit mit den Kindern noch lebenswerter und schöner macht. Ich bin davon überzeugt, dass es davon zeugt, dass die Kinder hier materiell nicht so übersättigt sind. Da erkennt man ganz deutlich, was den Kindern eigentlich verloren geht, wenn man sie ständig mit neuen Spielsachen, Klamotten und Technik beschenkt.
Ich finde, anhand dieser paar Punkte lässt sich schon gut erkennen, wie viel man aus dem Leben in einer anderen Kultur lernen kann. Das ist eine wichtige Schule, und seit dem Angels Home bin ich sehr neugierig auf weitere andere Länder und Kulturen geworden. Das nächste Abenteuer wartet bereits schon in meiner Indienreise auf mich. Auch hier wird es mit Sicherheit Dinge geben, die anders sind, als wie ich sie mir bis jetzt noch vorstelle. Aber ich denke, um genau diesen Prozess geht es beim Reisen auch, in dem man so viel neues kennen und verstehen lernt. Ich hoffe jedenfalls, auch dort so viel wie möglich davon mitzunehmen.
Bis bald!
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