Die Erfahrungen machen uns
Nun sitze ich wieder an meinem Schreibtisch in meinem kleinen Zimmer im Münchner Osten. Eigentlich hat sich kaum etwas geändert in den drei Monaten in denen ich weg war. Es stehen immer noch dieselben Tannen vor meinem Fenster. Da liegen noch dieselben Stifte und Zettelchen in geordneter Unordnung auf der Tischplatte. Nur eine Sache ist neu: es liegt ein Tagebuch neben meinem Laptop. Voller Erinnerungen ist es, voller schöner und auch trauriger Momente. In dem Tagebuch steht all das, was ich in den letzten Monaten erlebt habe, was mich nachdenklich, bewegt oder glücklich gemacht hat.
Ich habe nie Tagebuch geschrieben. Nur selten habe ich mir die Zeit genommen besondere Erlebnisse aufzuschreiben, was ich im Nachhinein schade finde. Für meine Zeit in Sri Lanka habe ich es mir aber fest vorgenommen. Es war für mich eine Möglichkeit Situationen und Verhaltensweisen noch einmal zu reflektieren und vor allem Momente festzuhalten.
Seit etwa einer Woche bin ich nun wieder in Deutschland und schon jetzt kommt es mir fast so vor als wäre ich nie weg gewesen, als wären die letzten 90 Tage nur ein riesiger, verrückter Traum gewesen. Ich stelle mir oft die Frage, wie mich meine Zeit im Angels Home verändert hat. Eine genaue Antwort darauf habe ich noch nicht und ich denke ich werde auch noch ein wenig Zeit benötigen um vollständig zu erfassen inwiefern mich das Praktikum in dieser anderen Welt verändert hat. Was ich jetzt schon merke ist, dass ich eine andere Sicht auf viele Dinge habe.
Ich habe während meinem Praktikum viele schöne, aber auch einige negative Erfahrungen gemacht. Es gab Tage, an denen ich viel gelacht habe und sehr glücklich war, aber auch Tage, an denen ich traurig und nachdenklich war. So wie der Titel eines berühmten Popsongs „Whatdoesn´t kill youmakesyoustronger“, hat mich die Zeit im Angels Home stärker und selbstbewusster gemacht. Ich habe gelernt nicht mehr so kritisch mit mir selbst, aber auch mit anderen zu sein und den Mut aufzubringen Probleme offen anzusprechen.
Meine letzten Tage im Heim waren noch einmal sehr intensiv und auch schön. Zu Ende der Ferien kamen die Mädchen von zu Hause zurück und zu Silvester stand die „Big Party“ an. Auf diese freuten sich die Mädels schon seit Wochen und sie hatten nicht zu viel versprochen: die „Big Party“ war ein voller Erfolg! Zu Beginn des Abends gab es ein kleines Programm bestehend aus verschiedenen Tanzaufführungen der Mädchen und des Personals und einem 3-Personen-Pantomimen-Krippenspiel, welches die beiden Julias und ich einstudiert hatten. Die Tänze waren der Hammer: wunderschön, süß und lustig – von allem war etwas dabei. Ich war so stolz auf die Mädels, die all das alleine auf die Beine gestellt hatten und hatte Gänsehaut, als die jungen Ladies ihre Hüften schwangen. Auch unser Krippenspiel kam super an und es war ein tolles Gefühl die Mädchen zum Lachen zu bringen. Danach packte der DJ seine Songs aus und wurde getanzt was das Zeug hält. Sogar unser Driver Dissa ließ es sich nicht nehmen seine Moves zum Besten zu geben. Alles in allem war der Abend sehr schön, lustig und der beste Abschluss meines Praktikums, den ich mir vorstellen konnte.
Leider kam der Abschied dann sehr schnell und in den letzten zwei Tagen hatte ich das Gefühl, dass mir irgendetwas entgleitet. Ich wollte die Zeit mit den Mädels nochmal richtig genießen und möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen. Schon zu Beginn meines Praktikums wurde mir klar, dass ich nur eine von den vielen Praktikantinnen bin, die die Mädchen kommen und gehen sehen. Nur an wenige von uns können sie sich später noch erinnern. Oft hab ich darüber nachgedacht, ob ich im Heim etwas hinterlasse außer dem kleinen Foto an der Praktikantinnen-Wand. Mir war bewusst, dass es schwer sein wird aus der Menge der jungen Frauen, die hier für eine Zeit lang leben und arbeiten, herauszustechen, sodass mein Name eben nicht vergessen wird. Es war nicht leicht für mich das zu akzeptieren, vor allem weil die Mädels für mich ja so wichtig und bedeutsam geworden waren. Letztendlich denke ich, dass ich vielleicht bei der ein oder anderen etwas hinterlassen habe und sei es nur ein neues Spiel, was ich ihnen beigebracht habe.
Und letztendlich musste auch ich „Goodbye“ sagen, was mir nicht leicht viel. Ich habe mit den Menschen, von denen ich mich nun verabschieden musste das letzte Vierteljahr zusammengelebt. Die Mädels haben mich in ihre große Familie aufgenommen, wofür ich ihnen an meinem letzten Abend dankte. Ich dankte ihnen auch für die vielen wundervollen Momente, die ich mit ihnen erleben durfte. Eigentlich hätte ich noch so viel mehr sagen wollen. Ich hätte ihnen sagen wollen wie besonders jede einzelne von ihnen ist, dass sie stolz auf sich sein können, an sich glauben sollen, dass ich von ihnen so viel gelernt habe. Aber ich war in einem kleinen Gefühlschaos aus Trauer, Wehmut aber auch Vorfreude auf meine Liebsten in Deutschland und fand irgendwie nicht die richtigen Worte. Als ich dann von allen umarmt wurde, Abschiedskarten geschenkt bekam und Subani und Dinesha noch ein paar Worte zum Abschied sagten, konnte ich die Tränen dann nicht mehr zurückhalten. Auch von meinen Mitpraktikantinnen Julia und Janika musste ich mich verabschieden. Mädels (und auch Audrey), falls ihr das lest: Danke für die tolle Zeit mit euch, für jeden Kakerlaken-Kampf, jedes gemeinsame Lachen und all die Gespräche bei ein paar Keksen oder einer Ananas! Ich bin froh euch kennengelernt zu haben.
Und auch von Sri Lanka musste ich mich am nächsten Morgen auf dem Weg zum Flughafen verabschieden – diesem kunterbunten, verrückten Land. Auch von Sri Lanka habe ich einiges gelernt: von den Menschen, die in so ärmlichen Verhältnissen Leben und trotzdem oft viel glücklicher wirken als wir Deutschen; von dem Gefühl fremd zu sein, wenn die singhalesischen Männer einen rufen wie die Hunde; von den verschiedenen Religionen, die dort so tolerant miteinander umgehen; von dieser komplett fremden Kultur, ihren Eigenarten und von so viel mehr.
Abschied zu nehmen ist schwer, aber ich bin unendlich froh darüber all diese Erfahrungen gemacht haben zu dürfen. Wenn ich jetzt an die kleine Madushani denke, die so oft auf mir herum geklettert ist, die süße Sachini, die auf meinem Schoß eingeschlafen ist oder Subashini, mit der ich so oft herumgescherzt habe, huscht mir ein kleines Lächeln übers Gesicht und ich frage mich, was die Mädels wohl grad so machen.
Ganz liebe Grüße aus dem verregneten München,
Anna
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