Gewohnheiten und Selbstverständnisse
Lasse ich nach einiger Zeit hier im Angels Home bisher Erlebtes Revue passieren, kann ich zusammenfassen: Meine Zeit in Sri Lanka ist eine Zeit mit allerlei intensiven Eindrücken.
Sri Lanka begrüßt mich vom ersten Tag an mit seinem warmen Klima und hoher Luftfeuchtigkeit. Mein Körper aktiviert alle Kühlmechanismen und startet den Gegenangriff. Auch wenn mir das Klima hier erst einmal zu schaffen macht - zumindest habe ich hier eine Wärme- und Sonnengarantie für die kommenden Sommermonate. Und mittlerweile ist es völlig normal dauerverschwitzt zu sein. Umso mehr lassen mich alle Hitzemeldungen aus Deutschland ein wenig schmunzeln.
Aufgrund meines überschaubaren Reisegepäcks ließ ich viele Dinge und Gewohnheiten notgedrungen in Deutschland zurück. Alles sowieso nur Luxus? Schnell stellt sich heraus, dass ich die Dinge, die ich hier vermisse, gar nicht hätte einpacken können.
Anders als Zuhause nehme ich meine Umwelt viel bewusster wahr. Die Natur ist mein ständiger Begleiter, bei Tag und bei Nacht. Am schnellsten fällt mir die Geräuschkulisse auf, die mich umgibt. Die unterschiedlichsten Töne der einheimischen Vögel, die meist leider eher laut und aggressiv als melodisch und angenehm klingen. Es treffen unzählige Krähen auf kleine Piepmätze, die ein beeindruckendes Durchhaltevermögen an den Tag legen. Schon in den frühen Morgenstunden wirkt es, als würden sich die Vögel mit ihren schrillen Tönen selber gegenseitig Wecken. Oder ist es nicht doch ein kleiner Wettbewerb, wer am lautesten ist?
Das abwechselnde schelmische Klacken der Geckos, das Jaulen und unermüdliche Kläffen der Hunde, das Surren der Käfer und ständige Zirpen der Grillen sowie die Geräusche jeglicher anderer Tiere vervollständigt den tierischen Soundtrack. Zusammen mit den dumpfen Schlägen, wenn sich mal wieder eine Kokosnuss der Schwerkraft geschlagen gibt, und dem Rascheln der Palmen im Wind ergibt sich insgesamt eine dauerhafte Hintergrundmusik.
Komplementiert wird das alles von den „unnatürlichen“ Geräuschen:
Das dauerhafte und sich ständig wiederholende Gedudel der Brotverkäufer, die mit der Dauerschleife des „Für Elise“-Motivs doch tatsächlich schon in den frühen Morgenstunden Kundschaft anlocken wollen. Zumindest ein angenehmeres Geräusch als die Schüsse des Nachbars, der hoffentlich nicht in unsere Richtung zielt. An das Rauschen des Ventilators, der die warmen Luftmassen bewegt und vor allem nachts für eine erträglichere Temperatur sorgt, habe ich mich so gewöhnt, sodass ich es kaum noch wahrnehme. Oder ich bin zumindest froh, dass er mit seinem gleichmäßigen Rauschen alle anderen Geräusche wenigstens ein bisschen dämpft.
Hier wird nicht nur in der Natur gelebt, hier wird mit der Natur gelebt. Und aufgrund der immer vorherrschenden Wärme wird diese auch nicht einfach abends durch das Schließen der Haustüre oder der Fenster ausgesperrt. Man würde ja ansonsten in der Wärme eingehen.
Die nächtliche Ruhe, schade, dass ich die nicht hierher mitnehmen konnte. Und so vergehen viele Nächte in denen ich mich über meinen leichten Schlaf, die Wärme, stundenlange Wachphasen und allerlei Tiergeräusche ärgere.
Und mal wieder bewahrheitet sich: Man lernt die wirklich wichtigen Dinge erst zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat. In meinem Fall sind es alles keine Dinge, die ich in mein Gepäck hätte packen können.
Neben einer stabilen Strom- und Wasserversorgung, der Familie und den besten Freundinnen, sind es kulinarische Kleinigkeiten, die ich vermisse.
So entwickeln sich das gewohnte, morgendliche Müsli aber auch – passend zur Jahreszeit in Deutschland – Mamas Himbeerbiskuitrolle zum absoluten Wunschobjekt.
Aber „Not“ macht ja bekanntlich erfinderisch und so fangen wir Praktikantinnen an, ein Stückchen Heimat ins Angels Home zu bringen. Denn Kuchen, Muffins oder Nussecken (die man hier wunderbar in Kokosecken verwandeln kann) kann man natürlich auch in Sri Lanka backen. Und so bringen wir ein bisschen deutsch-österreichischen Geschmack ins Angels Home, während wir unsere Sehnsucht nach Backen (sowas verstehen nur Frauen) stillen.
Andererseits erfüllt das nette Personal aus dem Nachbarhotel auch alle extravaganten Sonderwünsche, wie beispielsweise Pancakes mit Schokosauce, solange man sie etwa zwei Tage im Vorfeld bestellt. Und so zaubert mir diese kleine kulinarische Abwechslung ein dauerhaftes Lächeln ins Gesicht!
Aber sind es wirklich die Dinge selbst, nach denen wir uns sehnen? Oder ist es nicht vielmehr die Gewissheit, dass man hier eben nicht die potenzielle Möglichkeit hätte so schnell dran zu kommen, wie man es aus Deutschland gewohnt ist. Und vielleicht tut es mir auch mal gut, genau diese alltäglichen Dinge nicht zu haben, sodass aus Gewohnheit und Selbstverständnis ein ganz neues Verständnis von Wertschätzen wird. Ganz egal, denn eines ist sicher: Ich freue mich auf die Himbeerbiskuitrolle und natürlich auch auf Mama!
Hier habe ich mich sehr schnell an die warmen Temperaturen gewöhnt. Morgens nach dem Aufstehen vor dem Frühstück ein kleines bisschen Sonne tanken und die Gewissheit zu haben, dass man sich auch abends, wenn es bereits dunkel ist, keine Gedanken über einen Pulli machen muss, ist schon etwas Besonderes. So ist das eben mit der Gewöhnung: An die besonderen Dinge gewöhnt man sich gerne und schnell.
Ich bin gespannt, was ich in Deutschland vermissen werde, was für mich hier in Sri Lanka selbstverständlich ist.
Die laute Geräuschkulisse wird es wohl nicht sein...
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