Ist das Gras in Sri Lanka grüner?
Nun sitze ich hier an meinem altbekannten Platz mit Sicht aufs Meer, hoch über und doch inmitten der Geräuschkulisse des Angels Home. Höre die kleine Latta nach Kumari rufen, dann das Tuktuk starten, das die Förderkinder zur Schule bringen wird. Zwei Fragen sind es, die vordergründig in meinem Kopf herumgeistern und auf die ich aktuell auch noch keine vollständige Antwort weiß. Denn wie es sein wird, wie ich denken und fühlen werde, in welchem Licht sich all die Eindrücke und Erfahrungen mir präsentieren sollen, die ich hier sammeln konnte, wird sich noch zeigen, wenn ich zurück in meinem irgendwie geliebten (ja das kann ich nun wohl sagen) Wien bin. Zwei Fragen sind es mit denen ich also gekommen bin und auch wieder abreisen werde:
Ist das Gras in Sri Lanka grüner? Und was brauchen wir damit das Gras dort wo wir sind gedeiht und floriert, satt, gesund – grün wird.
Regen und Sonnenschein! Ganz einfach ist das Glücksprinzip, betrachten wir eine der größten Frage des Lebens von der botanischen Seite. Gehe ich also doch nicht vollkommen ohne Antworten im Gepäck? Ich bin gekommen weil ich wissen wollte „wie es ist“, „so wo ganz anders“, und ich wollte „geben“ aber auch „lernen“, also „nehmen“, wollte um die Erfahrung reicher werden, was wir machen können für all jene Menschen denen das Leben von Anbeginn an Steine in den Weg gelegt hat. Und wollte erfahren, was wir lernen können für uns selber von jenen denen Grundlegendes im Leben (Familie, ein Zuhause, Sicherheit, Geborgenheit, Bestätigung, bedingungslose Liebe) fehlt.
Was ich von meiner Auslandserfahrung hier zum einen nun definitiv mitnehmen kann ist die Gewissheit, dass das Gras immer dort am grünsten ist wo man gerade nicht ist. Das ist zwar keine Wahrheit, aber irgendwie ein festgeschriebenes Naturgesetz, das uns wohl darin antreiben soll weiter zu sehen und auszuprobieren, unseren Geist neugierig und wachsam für das Andere, Fremde zu halten und das ist eigentlich auch gut so.
In Wien jammern die Leute über die Abwesenheit des Meeres, die niedrige Anzahl an warmen Sonnentagen, der Überpräsenz an grantigen Mienen. Sie sehnen sich nach Plamen-feeling, tropischen Früchten und exotischem Essen. Hier auf Sri Lanka vermisst man das Müsli mit Milch oder Joghurt, Schokolade, die kühlen Nächte, kalte Füße unter der Decke (?), eine ruhige Busfahrt ohne angeschaut oder noch schlimmer angesprochen zu werden.
Praktikantinnen hängen am Handy und trauern dem Erdbeerkuchen nach, den Mama grade in Deutschland backt, sowie der Spargelsaison. Kinder erzählen dir ihr Lieblingsobst seien Äpfel oder Erdbeeren, nein nicht etwa Bananen oder Mangos welche hier im Garten wachsen würden. Wehmütig sehnt man nach dem was nicht ist. Das was ist, ist einfach viel weniger interessant, zu einfach zu bekommen, der Bedarf übersättigt, im Wert gesunken. Solange man sich diesem Fernweh nicht absolut hingibt, erfüllt es wohl auch seinen Sinn und Zweck. Doch nie im Hier und Jetzt zu leben, sondern immer in der Sehnsucht verklärt, einem den Blick für das Schöne, was fast überall zu finden ist und für das Wesentliche im Leben. Natürlich braucht es auch seine Zeit um für sich erst einmal „das Wesentliche“ zu erkennen und so lange wird uns das Fernweh wahrscheinlich oft weiter und weiter ziehen von Ort zu Ort, auf der Suche nach dem sattesten Grün. Die verwöhnten Westeuropäer, ebenso wie das Heimkind aus einem Schwellenland sehnen nach der Abwechslung. Doch wir alle könnten wahrscheinlich davon profitieren, wenn wir herausfinden was unbestritten gut so ist wie es ist, auch wenn man immer wieder mal einen gut gemeinten Abstand benötigt um dies wirklich zu erleben, zu sehen, zu spüren.
Nach Regen folgt Sonnenschein, das ist eine alte Weisheit und der zweite Kalenderspruch, der nicht nur das Leben hier auf Sri Lanka, sondern auch meine Erfahrungen im Angels Home perfekt beschreibt, sowie das was ich aus ihnen lernen durfte.
Nicht nur ohne Abwechslung und dem gesunden Abstand, auch ohne all die Mühen des Lebens ist wohl auch das Schönste nichts wert. Dass die traumatischen Erfahrungen, welche die Kinder hier durchleben mussten diesen Bogen sicherlich überspannen, klar. Dennoch ist zu beobachten, dass hier sehr selbstständige, freche, lustige und einfallsreiche Kinder heranwachsen, die viel durchgemacht haben und dennoch nicht verlernt haben zu lachen. Die schon viel übers Leben wissen, die erlebt haben das schlechte Zeiten kommen und gehen, Erwachsene kommen und gehen, Freundinnen kommen und gehen, Eltern kommen und gehen und dennoch das Beste daraus machen. Wenn ich in die vielen Gesichter blicke, sehe ich trotz allem zumindest den Versuch die Tage positiv und interessiert zu bestreiten und das finde ich bewundernswert. Zuversichtlich zu sein. Dankbar zu sein für die Beziehungen, die man hat und die schönen Momente, die man teilt. Allem voran war es wahrscheinlich das, was ich mir hier abschauen konnte. Denn nach Sonnenschein folgt Regen, doch dann auch wieder Sonnenschein, und die nächste Praktikantin, die sich um den Fingerwickeln lässt kommt bestimmt.
Gekommen um zu gehen. So fühlen sich meine letzten Tage hier an, von diesem doch irgendwie ganz speziellem Ort. Vielleicht auch nur für mich speziell, weil es die letzten Monate auch irgendwie mein Angels Home war und dann wieder gar nicht. Ich war Teil davon und ich war immer wieder mit meinem Herzen dabei, aber auch immer wieder weit weg. Denn das hier ist nicht mein Zuhause und auch nicht mein richtiger Arbeitsplatz (wie auch für nur 2,5 Monate). Dennoch das Beste zu geben, die Kinder in dein Herz zu schließen, die Angestellten und das Leben hier, immer wissend, dass es doch nur für so kurze Zeit ist, kann an manchen Tagen angenehm sein und dann doch auch eine ziemliche Herausforderung. Leicht ist man dazu verleitet wenn Dinge aus dem Ruder laufen zu resignieren, denn eine Bindung, ein Zugehörigkeitsgefühl, ein Gefühl wirklich Teil davon zu sein, echter wertvoller Bestandteil , ein relevantes Rädchen im Uhrwerk, das habe ich schon in meinen Wirtschaftspsychologievorlesungen gelernt sind eigentlich die wichtigsten Voraussetzungen um sich mit Leidenschaft und all seiner Energie für etwas engagieren zu können.
Aktuell bin ich mit einem Fuß schon wieder draußen und die nächste mit einem Fuß schon wieder drinnen. Ich habe gelernt was Verzicht bedeutet, Strukturen lieben und hassen, Wut und Ärger schnell verfliegen und vergessen lassen, ich habe gelernt nachsichtig und geduldig zu sein, immer wieder dasselbe Spielchen mit den Kindern zu spielen, seien es die niemals enden wollenden Kämpfe beim Washingplace um den Wasserverbrauch oder die nächtlichen Eskapaden beim Pipidienst (auch als mitternächtliches Workout zu bezeichnen, wenn man Kind für Kind die Treppen hinunter schleppen darf, weil sie nicht von selbst gehen wollen), ich habe gelernt vieles nicht so ernst zu nehmen und vor allem freundlich zu sein und zu lächeln, zuversichtlich und gelassen daran zu glauben, dass eins zurück kommen wird. Und es kam. Auf Regen folgt Sonnenschein.
Jeder ausgetragene Kampf mit den Mädchen, jede Träne, jeder böse Blick aufgewogen durch ihr herzhaftes Lachen, taumel ich an meinem letzten Tag total verschlafen ans Gate des Angels Home, um ihnen allen noch schnell einen schönen Schultag zu wünschen, manche zu umarmen und zu drücken, anderen nur aus der Ferne zu winken. Selber ebenso chaotisch wie das Leben hier habe ich es also fertig gebracht meinen letzten Frühdienst hier zu verpennen. So schwer wie ich es mit den Mädchen manchmal hatte, so hatten sie es mit mir, denn anstatt für Struktur, Ordnung und klare Ansagen zu sorgen, was den Mädchen hier zu mindestens ein bisschen Halt und Sicherheit gibt sowie die Möglichkeit an diesen zu rütteln und sie zu brechen (ja auch dafür sind Regeln da), bin ich eher dafür bekannt immer wieder für Unordnung zu sorgen und eine großzügige „Ach ja, kann man so, aber auch so machen“-Linie zu fahren. Ja, es gibt noch viel zu lernen, nicht nur für die Mädchen auch für mich.
Mit einem lachendem und einem weinendem Auge, verschlafen, chaotisch aber glücklich,
eure Simone.
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