Heiter, sonnig bis wolkig, düster
Wenn die Wochen hier so verstreichen merkt man wie sehr man sich an das Leben mit den Kindern gewöhnt hat und wie sehr man Aspekte dieses zu schätzen weiß. Trotzdem es auch anstrengend sein kann bei zwei auf singalesisch streitenden Kindern nun herauszufinden wem die Armreifen wirklich gehören oder sie dazu zu bewegen nun endlich kurz nach Mitternacht das Bett zu verlassen, um auf die Toilette zu gehen (bevor es zu spät ist), ist der Alltag hier angereichert mit begeisterten Zurufe ob man nicht mit Volleyball spielen möchte, herzhaftem Lachen und dummen Grimmasen, wenn man Glück hat sogar einer mit Gesang untermale Tanzeinlage. Dir wird ein Platz in ihrer Teestube inklusive selbstgemachten Tee angeboten, oder eine Jackfruit die sie eben aus dem Garten geerntet haben.
Die heitere, lockere Stimmung, welche insbesondere die jüngeren Mädchen meist verbreiten, die sonnigen Nachmittage die man mit ihnen hier im Garten verbringt lassen einen schnell vergessen welch bittere Realitäten und düsteren Geschichten im Hintergrund der Kinder existieren. Doch, dass sowohl das Wetter in Sri Lanka wie auch der Gemütszustand der Mädchen teils heftigen Schwankungen und unvorhersehbaren Ausbrüchen folgen durfte ich auch noch lernen.
Klar habe ich mir schon bevor ich hier angekommen bin so meine Gedanken gemacht wie es den Mädchen wohl gehen mag. Liest man sich im Internet ihre Lebensgeschichten durch fällt es einem jedenfalls schwer zu glauben, dass sie überhaupt noch etwas zu lachen haben. Verborgen bleibt jemanden wie mir in den kurzen 2,5 Monaten in denen ich an ihrem Leben hier teilhabe allerdings wahrscheinlich bis zuletzt was wirklich in ihnen vor sich geht…
Seltsame Tage sind dann beispielsweise immer die letzten Sonntage im Monat, wenn manche Mädchen Besuch von ihren Familienangehörigen bekommen andere nicht. Da sieht man dann auch schon heruntergezogene Mundwinkel und finstere Blicke. Wenn man bei den Mädchen dann auf eine Null-Bock-Stimmung trifft und auf jede seiner Fragen ein „No“ als Antwort bekommt braucht man sich auch nicht weiter wundern.
Die letzten Wochen hier im Angels Home waren gekennzeichnet von Ereignissen, welche alle in gewisser Weise etwas gemeinsam hatten. Auf die Rückkehr von Julia und Frank von ihrem dreiwöchigen Deutschlandurlaub folgte der Abschied von Theekshani, der Head Matron, die auf Grund ihrer Hochzeit nun eine (ebenfalls dreiwöchige) Pause einlegt und danach nur mehr untertags und in neuer Position als Managerin im Angels Home arbeiten wird. Schließlich erlebte ich auch mein erstes richtiges singalesisches Gewitter, dessen Schwergrad mir vollends erst am nachfolgenden Tag bewusst wurde als sogar Julia meinte sie sei froh gewesen in solch einer Nacht nicht alleine gewesen zu sein und oben drein noch erzählte dass bei uns wahrscheinlich der Blitz eingeschlagen hatte. Ohne Zweifel wird diese Nacht mir in Erinnerung bleiben. Im Minutentack erleuchtete die Umgebung vor unseren Schlafräumen gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner. Jedes Mal hoffend, dies sei nun der Letzte gewesen, beruhigte mich in dieser Nacht jedoch der Gedanken daran, dass solche Unwetter hier zum Leben dazugehören – etwas „normales“ seien (vielleicht ein Trugschluss). Wenn die Menschen hier doch alljährlich damit zu leben wissen, erden schon entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen worden sein..? Theekshani Abschied wiederum war begleitet von einer Tränenflut. Kein Auge blieb trocken, selbst unsere nicht, als alle Kinder sich verstohlen von der eben zu Tränen gerührten Theekshani verabschiedeten.
Wie bereits erwähnt: All diese Ereignisse hatten in gewisser Weise etwas gemeinsam, v.a. das Gewitter und Theekshani Abschied. Sie waren im Moment des Geschehens von einer unheimlichen Gewalt gekennzeichnet, am Tag danach schien schon wieder unschuldig die Sonne und das Leben nahm seinen üblichen Verlauf, dem alltäglichen Fahrplan folgend. Fast möge man vergessen was sich alles erst am Vortag abgespielt habe, auch wenn das Unwetter Spuren hinterließ und wir Probleme mit der Stromversorgung habend, einige Stunden in vollkommener Dunkelheit saßen.
Die Kinder, so scheint es, haben jedenfalls ihre ganz eigenen Strategien entwickelt um Abschied zu nehmen und diese zu verarbeiten. Wie stark Abschiede zum Lebensalltag der Mädchen hier gehören wurde mir erstmals so richtig bewusst, als ich den Abschied von Monika nun schon vor einigen Wochen miterlebt habe und auch dieser nun ließ wieder viele unbeantwortete Fragen in mir aufsteigen. Monat für Monat nehmen die Mädchen aufs Neue Abschied von liebgewonnenen Praktikantinnen (wh für immer), von ihren Eltern auf Zeit. Auch Mitarbeiter kommen und gehen. Kinder werden ins Heim aufgenommen und verlassen es wieder. So steht momentan auch eine Adoption eines der Mädchen ins Haus und ich frage mich schon seit geraumer Zeit wie sie selbst und der Rest der Mädchen darauf reagieren werden.
Ihr zu Hause hier ist genau genommen ein zu Hause auf Zeit – mehr als es dies für andere Kinder ist, für die ihr Elternhaus meist auch wenn sie es verlassen haben dennoch als Zuhause weiterbesteht und auch keine anderen Kinder dort ihren Platz einnehmen wird. Natürlich gibt es im Angels Home auch Kinder für die dies hier eindeutig nur eine Übergangslösung bedeutet und die ihr „richtiges“ zu Hause noch bei ihrer Familie sehen, aber bei weitem nicht alle.
Die erste Frage die mir immer durch den Kopf geistert ist: Wie würde ich das alles erleben? Abschiede sind ja generell nicht gerade schöne Momente im Leben. Natürlich gibt es Unterschiede. Und nicht jede Person die man verabschiedet wird wirklich stark vermisst und andere lassen sich wiederum leicht ersetzen. Dennoch bleibt es faszinierend, dass diese Mädchen hier ein Leben führen, dass gepflastert ist von Abschieden. Dass sie gelernt haben damit umzugehen und anders als viele andere Menschen loszulassen/gehen-zu-lassen, sich schnell mit neuen Praktikantinnen, Mitarbeitern und Kindern anzufreunden und „Good bye“ zu sagen.
Ich bin schon gespannt wieviel mehr ich hier lernen kann, über die Kinder und mich.
Nachdenklich, eure Simone
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