Zurück aber nicht angekommen
Minutenlang starre ich auf die Verdibüste, die vor mir auf dem Regal in meinem Zimmer steht. Demonstrativ schaut der alte Herr in eine andere Richtung, um meinem fragenden Blick auszuweichen. Die Frage, die seit zwei Tagen – diese, die ich wieder in Europa verbracht habe – in meinem Kopf auf und ab, hin und her, nach links und rechts schwappt ist jene, welche die Menschheit seit Jahrtausenden beschäftigt: Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Und überhaupt, wohin sind die letzen zweieinhalb Monate verschwunden? Ja, ich bin heil in München gelandet; ja, ich bin vom Flughafen zum Ostbahnhof und über Salzburg nach Linz gefahren; ja, meine Eltern, Nachbarn, Freunde haben mich wunderbar empfangen. Doch meine Seele, meine Gedanken, Ideen, Träume schweben noch zwischen den Welten, zwischen Sri Lanka und Österreich, zwischen Meer und Land, Licht und Schatten.
Wie ich mich fühle? – Schwer zu sagen, ich bin zurück aber noch nicht wirklich angekommen.
Nach einem sehr tränenreichen Abschied – wann habe ich das letze Mal aus so tiefem Herzen geweint? – der mir gezeigt hat, wie stark die geknüpften Bande geworden sind, musste ich das Angels Home for Children verlassen, vollgepackt mit etwa zehn Kilogramm Papier. Die Mädchen haben mir mit Nadjas Hilfe (Danke!) viele wunderschöne Karten gebastelt, deren Inhalt, die oft krakelige Kinderschrift, mich nach wie vor zu Tränen rührt: „Komm zurück nach Sri Lanka. Wir werden dich nie vergessen. Bitte vergiss uns nicht. Ich liebe dich. Ich mag dich. Du bist lieb. Du bist meine Schwester." und dergleichen lassen mir heißkalte Schauer über den ganzen Rücken laufen und den Herzschlag kurz aussetzen.
Überhäuft mit Blumen, Karten, kleinen geknüpften Bändern (ich konnte meinen Mädels nicht ausreden, dass ich ihnen nichts wegnehmen möchte, zu sehr wollten sie mir etwas mitgeben), ganz vielen Umarmungen und Küssen zog ich also los. Nachdem ich die neue Praktikantin Claudia in den Van gesetzt hatte, ging es für sie in das Abenteuer Angels Home und für mich ab nach Colombo, Thalpe, Galle, Kandy, Pinnawala, Trincomalee, Anuradhapura und Negombo, wo ich meinen Horizont noch einmal um einige Kilometer erweitern durfte.
Ich habe im Tempel gebetet, Kandytänzer bestaunt, historische Festungen bewundert, Elefanten gestreichelt, den Bodibaum betrachtet, Strände bewandert, mir die Meeresluft um die Ohren zischen lassen, kurzum, ich habe gelebt, alles getan, worauf ich Lust hatte, frei von Sorgen, Ängsten, negativen Gedanken (bis auf die kurze Panikattacke, als ich beim Schnorcheln einen Hai neben mir entdeckte).
Als wir – ich wurde begleitet von einem alten Freund – von Anuradhapura zurück nach Negombo fuhren, um die letzten Rupees zu verprassen und uns in der Nähe des Flughafens aufzuhalten, mussten wir auch durch Marawila fahren. Mein Herz wurde mir sehr schwer, als wir beim guten alten, klimatisierten food city vorbeirauschten, der mich mit Keksen versorgte. Näher und näher kamen wir an die Straße, die zum Heim führt, und umso härter viel es mir, im Bus sitzen zu bleiben. Wieder merkte ich, wie gerne ich noch einmal alle drücken würde, wie gerne ich Suneetas Roti essen und mit Theekshani scherzen würde.
Ich vermisse die chaotische Wascherei, den riesigen Bananengarten und diese vielen Augen, die mich betrachten, die vielen Hände, die meine halten, dieses Meer an Liebe, das einem entgegen schwappt, einen vollends aufnimmt und offenbar nicht wieder loslässt.
Offenbar haben das auch meine Lieben hier bemerkt, denn nach meinen Erzählungen bekomme ich oft dieselbe Frage gestellt: „Und, wann fliegst du wieder hin?" Die Frage nach dem WANN kann ich derzeit noch nicht beantworten, aber DASS Sri Lanka mich beindruckt, verändert, bereichert hat und ich mehr davon will, das steht wohl fest.
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