Familie und alles, was darunter fällt
Besonders hier mach ich mir um den Begriff "Familie" viele Gedanken. Was heißt es denn, eine Mama zu haben? Was bedeutet es, ein Papa zu sein? Wie fühlt es sich an, eine Schwester zu haben? Und ich merke, wie gesegnet ich mit meiner Familie bin und nicht nur aus dem einfachen Grund, überhaupt eine zu haben.
„Unser Angel's Home hier ist ein Kinderheim und kein Waisenheim, denn wir haben ja nicht nur Vollwaisen.", erklärte mir Julia als sie damals meinen Artikel für eine Wochenrundschau bei mir aus der Heimat Korrektur las. Ja, viele unserer Mädels haben Angehörige, haben sogar Mutter oder Vater und nicht immer sind es finanzielle Gründe, die das Aufwachsen im familiären Umfeld verhindern. Und wenn man auf unserer Website die Berichte über unsere Mädels liest, sind es oft echt krasse Geschichten, manchmal sogar zu krasse, um sie überhaupt zu veröffentlichen, die sich hinter den Gesichtern unserer 56, meist strahlenden Mädchen verbergen.
Schon zuhause in Österreich, als ich mir eine Story nach der anderen durchgelesen hab, hatte ich das eine oder andere mal das Gefühl, unsere Mädels sind in ihrem eigenen Zuhause einfach nicht erwünscht.
"Mama und Papa wollen mich nicht haben, haben keine Lust mich zu besuchen, kein offenes Ohr für meine Sorgen, kein Interesse für mich. Meine Eltern finden Platz für meine Geschwister, ich jedoch bin nicht willkommen, mache ihnen zu viel Arbeit." Was diese Gedanken in einem Kind auslösen müssen, das will ich mir gar nicht vorstellen. Familie und alles, was dazu gehört, ist hier ein schwieriges Thema - klar, ansonsten wären unsere Mädels ja nicht hier.
Und so ist auch die Stimmung an jedem letzten Sonntag im Monat, nämlich dem Besuchstag, so berichtet mir Julia, mies. Manche Kinder warten vergeblich, werden nie oder nur selten besucht, andere hingegeben warten aufgeregt entlang des Weges Richtung Eingangstor und erzählen einem vorfreudig "Father coming" oder "Mother coming" während das Interesse von "Thaththa" (Papa) bzw "Amma" (Mama) eher bei den anderen Müttern und Väter liegt, als bei der eigenen Tochter.
Ich jedoch bin mit so viel Glück – nunja, "beglückt", dass ich schon nach 2 Wochen Angel's Home sagen konnte "Sister coming" - hier haben viele Mädels seit Jahren kein verwandtes Gesicht gesehen. Ich durfte meine Schwester und unsere gemeinsame Zeit ganze zwei Tage genießen, ihr alles, was in mir vorgeht berichten - unsere Girls haben nur wenige Stunden.
Ich darf jede Woche mit meinen Eltern telefonieren, ihnen erzählen, was sich hier tut, wie es mir geht und vor allem darf ich spüren, dass sie an allem interessiert sind, sich mit mir freuen und sich sogar ab und an Sorgen machen. Ich werde umsorgt. Um mich sorgt sich jemand. Das ist ein Gefühl, das ich wohl nie zuvor wirklich so wahrgenommen hab. Und falls doch, war es eher nervig, nahm mir Freiheit und Spielraum. Hier jedoch sehe ich, dass die Grenzen und der Halt, den mir meine Eltern durch ihre Liebe geben, mir erst ermöglichen, so frei zu sein. Denn Eltern sollten ihren Kindern zwei Dinge mit auf ihren Weg geben - Wurzeln und Flügel.
Ich weiß, egal wie weit mich meine Flügeln auch tragen, meine Wurzeln sind dort, wo mir meine Flügel gewachsen sind. Und genau wie Julia gesagt hat: auch das beste Kinderheim kann eine Familie - und alles, was dazu gehört - nicht ersetzen.
Nachdenkliche Grüße,
eure Sara.
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