Du hast die Haare schön!
Was wäre ein Tag, an dem einen nicht mindestens 3-4 mal die Haare gemacht werden? Genau richtig: kein guter auf jeden Fall! Schon vom ersten Tag an, fanden immer wieder kleine Finger ihren Weg in mein Haar und das hat sich bis heute nicht geändert. Es wird gestreichelt, geflochten, zurückgebunden, verschönert und mit jeder Menge bunter Haarspangen versehen. Erstaunlicherweise scheint das insbesondere bei den Größeren das ultimative Aufnahmeritual zu sein.
Während die Kleineren von meinen Haaren fasziniert sind, weil sie schlicht und ergreifend anders sind als ihre eigenen, beginnt es bei den Großen mit einem Streichen über den Kopf. Meistens wenn ich gerade mit anderen Kindern auf den Boden sitze und die mir was zeigen oder wir spielen.
Die Mädchen, die mir über den Kopf streichen, haben z.T. vorher noch gar nicht mit mir geredet, mich noch nicht besonders beachtet und manchmal nichtmal zurück gelächelt, wenn ich sie angelächelt habe und ich bin davon ausgegangen, dass sie zu schüchtern sind oder sich nicht sonderlich für mich interessieren.
Aber nachdem der erste Schritt überwunden ist, dauert es zumeist keine halbe Stunde bis die Mädchen wieder auftauchen und sich vollends um meine Haare kümmern. Und danach fragen sie mich nach meinen Namen und ich nach ihren und schwups, Hürde genommen, wieder ein Mädchen besser kennen gelernt .
Am liebsten werden meine Haare in zwei Zöpfen geflochten, der Pony streng zurück gekämmt und links und rechts eine Haarspange drapiert. Sprich: ich werde hergerichtet wie ein 12-Jähriges Schulmädchen! Interessanterweise fällt es den Mädchen eigentlich total schwer, meine Haare zu bearbeiten. Sie sind viel leichter als ihre eigenen und durchgestuft, was das Zöpfe flechten erschwert, da man hier bis zum bitteren Ende (also bis zur letzten Strähne) flicht. Vielleicht liegt das Vergnügen aber auch gerade in der Herausforderung
Nachdem also der erste Schritt des Kennenlernens dank der Haare getan ist, gibt es noch einen ultimativen Vetrauensbeweis seitens der Mädchen, dass ich endgültig als die neue Praktikantin akzeptiert bin: ich zeig dir meinen Schrank!
Da werden die Geschenke der Pateneltern herausgeholt, das schönste Kleid gezeigt, Schulhefte stolz aufgeblättert oder Armbänder und Haarreifen präsentiert.
Kleine Finger greifen nach meinen Händen und ziehen mich von links nach rechts und der Ruf „Lisa!“ erschallt aus drei verschiedenen Richtungen.
Jeden Tag kann ich mehr Namen, kenne die Mädchen besser, weiß, mit wem ich wie am besten Scherzen kann oder mit wem ich einfach nur ein bisschen dasitze und mich unterhalte. Jeden Tag wird öfter mein Name gerufen, mir werden Spiele erklärt und ich bekomme mehr lächelnde Gesichter. Und das alles wegen meiner Haare.
Was wäre bloß passiert, wenn ich sie kurz tragen würde?!
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