Guter Cop – böser Cop!?!
Die Frage, welcher man lieber wäre, der gute Cop oder der böse Cop erübrigt sich leider, im Tagesablauf im Angels Home müssen wir beide Rollen abdecken…
Zunächst gibt es ein Grundgerüst, an dem wir uns alle den ganzen Tag über entlanghangeln.
Wir, das heisst die Students und Betreuerinnen wechseln uns mit der ersten Tagesaufgabe ab. Diese ist auf kurz nach Mitternacht angesetzt. Zwischen 0.30 Uhr und 1.00 Uhr stehen wir auf und wecken ein paar der Mädchen, damit sie am nächsten Morgen kein nasses Bett haben. Wir wecken sie, was bei manchen ganz einfach ist und bei anderen einer Meisterleistung im Kinderwecken bedarf. Einige der Mädels sind sehr kooperativ, einige wieder kommen mir eher schlafwandelnd als wach vor. Die, die aufwachen und heulen bringen mich später um den Schlaf. Haben sie nur schlecht geträumt? Verarbeiten sie etwas? Oder finden sie es wie wir alle nicht so toll aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden?
Die ganze Aktion dauert meistens nicht länger als 20 Minuten. Manchmal kann ich danach direkt wieder einschlafen und manchmal könnte ich auch Bäume ausreissen, so wach bin ich.
Das nächste Element im Tagesgerüst ist der Wake upcall um 5 Uhr am Morgen. Die Glocke – allgemeines Kommunikations- und Zusammentrommelinstrument im Angels Home wird von der Matron geläutet und schrillt durch die ruhigen und menschenleeren Gänge. Wir helfen die Kinder zu wecken und ein wenig anzufeuern, damit sie in die Gänge kommen. Sie müssen ihr Bett machen, Stofftiere oder sonstige persönliche Gegenstände aus den Schlafzimmern entfernen und tagsüber in den Schränken im Untergeschoss verwahren. Dann heisst es Gesicht waschen und ab zur Morning Excercise. Zuerst 5 Mal zum Gate und wieder zurück laufen und dann die Übungen nachmachen, die eine der Grossen vormacht. Hier ist oftmals viel Motivation gefordert, bzw. wie müssen die Mädchen ganz schön anfeuern, damit sie mitmachen und uns nicht bescheissen. Im Moment sind wir die Cops, die pfeifen, wenn jemand geht anstatt rennt, oder sich im Schatten versteckt in der Hoffnung, er kommt mit einer Runde durch, oder nicht vom Bad rauskommt – ach und da gibt es noch viele Möglichkeiten sich vor dem Morgensport zu drücken. Und eigentlich mag ich diese Rolle des Polizisten nicht sehr gerne, aber was muss, das muss.
Nach dem absolvierten Frühsport, marschieren die Mädels reihenweisen ins Bad, wo ich ihnen die Zahnpasta austeile. Danach gibt es Tee und Frühstück – meist so was Ähnliches wie Chaitee und ungetoasteten Toast mit Marmelade.
Und schon läutet die Glocke um auf den nächsten Programmpunkt aufmerksam zu machen. Beten istdran. Die Christen haben unten ihren Altar, die Buddhisten oben. Eigentlich der einzige Programmpunkt neben Essen und Spielen zu dem wir die Mädchen nicht motivieren müssen. Schön zu sehen, mit welchen Inbrunst hier am Morgen wie am Abend und vor den Mahlzeiten gebetet wird.
Sobald fertig gebetet ist, schnappt sich jeder einen Besen oder eine Schubkarre – Gardenwork ist angesagt. In diesem subtropischen Klima wächst ja alles und das auch noch überall. Daher ist es wichtig, dass ein Grundstück wie dieses regelmässig in Schuss gehalten wird, sonst verwildert und überwuchert es in kürzester Zeit. Und wieder sind wir in der Rolle des bösen Cops, dem Spielverderber, der immer wieder kommt und schaut, ob die Arbeit gemacht ist und jeden an stupst, der rumsteht oder rumalbert. Wir würden ja auch lieber rumalbern anstatt rumstänkern
Sobald das zu aller Zufriedenheit erledigt ist, heisst es die Kleider von der Leine zu holen, Wasser und Lunchpaket abholen und für die Schule ready machen. Uniformen anziehen, Krawatten umbinden, Haare je nach Länge zu pechschwarzen Zöpfen flechten oder mit Kokosöl einölen und schön kämmen, Schulranzen schnappen und raus um Schuhe anzuziehen. Hier ist wieder viel Motivation unsererseits gefordert. Nicht das die Girls noch zu spät zur Schule kommen Auch hier gibt’s ganz fixe Mädels und wie überall auch die Trödler.
Zwischen den Mädels die sich parat machen wirbeln immer noch welche rum, die kehren, wischen und sauber machen. Damit alles blitzblank ist, wenn alle aus dem Haus sind.
Wenn das letzte Mädchen um 7 Uhr zur Tür raus ist, ist es meist kurz vor sieben und wir können uns nochmal hinlegen – unser Büro-Arbeitsbeginn ist dann um 10 Uhr.
Diese zwei Stunden sind recht anstrengend. Böser Cop zu sein, ist nicht so einfach und nicht gerade schön. Die Mädels finden immer wieder neue Methoden um uns auszutricksen. Und sie sind uns natürlich immer einen Schritt voraus.
Die Individualität des einzelnen Kindes bleibt hier ziemlich auf der Strecke. Sofern sie nicht krank ist muss sie im Zahnrad mitlaufen. Für alle gilt das Gleiche und jeder, der aus der Reihe tanzen möchte wird von uns zurückdirigiert. Anders kann es bei dieser Masse an Kindern nicht funktionieren. Aber natürlich gibt es auch die, die es so clever und unbemerkt anstellen, dass sie nicht gelaufen sind oder dass sie sich nicht die Zähne geputzt haben, aber wir versuchen die Zahl so klein wie möglich zu halten.
Der restliche Tagesablauf liest sich wie folgt:
12.30 Uhr die Kleinen kommen von der Schule, essen und machen einen kleinen Mittagsschlaf, bis die Grossen auch so weit sind.
13.45 Uhr die Grossen kommen von der Schule heim
14.00 Uhr Mittagessen
14.30 Uhr Uniformen, Socken und Schuhe waschen
15.00 Uhr Hausaufgaben machen oder am Nachhilfeunterricht teilnehmen
16.00 Uhr Teatime
16.15 Uhr Hausaufgaben fertigmachen, Nachhilfe oder Gartenarbeit
17.00 Uhr Spielzeit für alle Kinder
18.00 Uhr Waschen, Schlafanzug anziehen und die Kleidung für den nächsten Schultag herrichten
19.00 Uhr Abendgebet
19.15 Uhr Wasserflaschen und Lunchboxes in die Küche bringen
19.30 Uhr Abendessen
20.00 Uhr Zähneputzen
Danach: Hausaufgaben zu Ende bringen, lesen, fernsehen oder direkt todmüde ins Bett fallen.
Wir sind bei all diesen Aktionen dabei. Schauen, dass beim Waschen nicht unnötig viel Wasser verbraucht wird, überprüfen die Kleiderschränke und schauen ob die Uniformen für den nächsten Tag auch ordentlich hergerichtet sind, verteilen die Zahnpasta, unterrichten Englisch oder unterstützen bei den Hausaufgaben, essen mit ihnen zusammen.
Wir versuchen einen Mittelweg zu finden zwischen diesem strengen Polzisten, der lustigen Praktikantin und der guten Zuhörerin. Wir versuchen auch uns ein bisschen auf die Kinder einzulassen und zu schauen, ob jemand im Moment vielleicht etwas Besonderes nötig hat und wir es ihm vielleicht geben können – bei über 50 Kindern aber nur partiell möglich.
Durch den Tag hindurch müssen die Kinder oft „funktionieren“. Sie können nicht aus der Reihe tanzen – ausser sie sind krank und dürfen ins Krankenzimmer. Trotzdem herrscht immer eine lockere Atmosphäre. Es ist immer die Zeit da: für einen kleinen Scherz, ein Lächeln, ein Smalltalk oder ein Schulterklopfer, wenn er nötig ist. Und wenn dann die Stimmung zu ausgelassen wird und dadurch bspw. die Gartenarbeit nicht mehr gemacht wird müssen wir wieder den bösen Polizisten spielen, der allen den Spass verdirbt. Oft hilft uns dabei auch das singhalesische Personal – die können den Tarif dann ganz gut durchgeben
Zeit für Individualität bleibt nicht viel. Vielleicht am Wochenende, wenn die Buddhisten und die Christen abwechslungsweise in den Unterricht gehen und die Gruppen daher recht klein sind, oder während der Spielzeit, wenn man auch mal Zeit hat sich mit einer kleineren Gruppe zu beschäftigen.
Routine bringt ja auch sehr viel Verlässlichkeit mit sich und wenn man bedenkt, aus was für Verhältnissen die Mädels kommen, dann tut ihnen diese Verlässlichkeit der Routine gut – und ganz ehrlich den Tagesablauf einer Gruppe aus über 50 Menschen kann man ohne Plan und Routine gar nicht managen…
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