Ein gesundes Neues Jahr
So sagt man auf Singhalesisch „Ein gesundes Neues Jahr“. Das Singhalesische und Tamilische Neujahr wird traditionell im April gefeiert. Dieses Jahr fiel es auf den 13. und 14. April. Für die Bevölkerung Sri Lankas ist das Neujahrsfest das grösste und wichtigste Fest im ganzen Jahr. Läden und Büros bleiben geschlossen und jeder macht sich auf den Weg in sein Heimatdorf um Verwandte zu besuchen. Das neue Jahr wird mit jahrhundertealten Ritualen gefeiert und astronomisch berechnet, wie die Feier abzulaufen hat. Es ist festgelegt, wann die Arbeit niedergelegt, gekocht und gegessen wird, oder wann geschlafen werden muss. Das schönste am Neujahrsfest ist, dass buddhistische Singhalesen und hinduistische Tamilen gemeinsam feiern.
Zunächst stellte ich mir die Frage, warum quasi „Mitten“ im Jahr hierzulande der Beginn des neuen Jahres gefeiert wird. Naja, eigentlich wird hier kein kalendarisches Neujahr gefeiert, sondern der Beginn eines neuen Sonnenjahrs. Dieses beginnt mit dem Übergang der Sonne aus dem Tierkreiszeichen Fische in das Sternzeichen Widder. Aufgrund der astrologischen Ausrichtung kommt es zu den jährlichen Verschiebungen zum gregorianischen Kalender. Der Beginn des neuen Jahres zeigt an, dass mit dem Lauf der Sonne ein neuer Zyklus von Saat, Reife und Ernte anbricht, was in einem landwirtschaftlich geprägten Land natürlich immens wichtig ist. Man könnte es quasi mit unserem europäischen Frühlingsanfang gleichsetzen.
Am Vorabend des neuen Jahres wird nochmals fein gebadet und gewaschen. So rein wie man selbst sein wird, sollte auch das gesamte Haus und Anwesen geputzt und gereinigt werden. Ausserdem werden noch im alten Jahr Raketen in die Luft geschossen – wann? Das bestimmt die astrologische Berechnung und wird vorab in der Zeitung publiziert. Am Tag selbst begleitet einen auch das Radio.
Zwischen den Jahren gibt es eine sogenannte Nicht-Zeit. In dieser sollte man nicht arbeiten, entweder ruhen oder die Zeit im Tempel verbringen. Das neue Jahr startet dann ganz unbeachtet, nämlich Mitten in der Nacht wenn alle schlafen.
Traditionell wird am Morgen des neuen Jahrs Kokosnussmilch in einem Tontopf zum Überkochen gebracht. Je nach dem in welche Himmelsrichtung die Milch ausläuft sagt das etwas über den Verlauf des kommenden Jahres aus.
Also die überschäumende Kokosmilch um 4 Uhr haben Isabell und ich am 14. April ausgelassen. Nicht etwa aus Faulheit, sondern weil es am späten Vorabend spontan entschieden wurde, als wir schon nicht mehr da waren. Aber egal, die Milch hat auch ohne uns übergekocht. Wir sind dann um 5 Uhr zu den verschlafenen Kiddies gestossen. Haben mit ihnen die Gartenarbeit gemacht. Die grossen Mädchen haben das Haus gefegt und geputzt. Ziel war es um 7.05 herausgeputzt im besten Kleid, im sauberen Haus mit sauberem Garten am Frühstückstisch zu sitzen. Wir haben also Zahnpasta ausgeteilt, Haaröl verteilt, Schleifchen gemacht, Spangen und Haarreifen im Haar drapiert und was halt sonst noch so für Verschönerungsmassnahmen anstanden. Isabell und ich waren im einfachen Morgendress: schwarze Hose und einfaches Shirt. Als die Mädels nahezu alle fertig waren kam Ranjenee, eine der Betreuerinnen zu uns und meinte, dass wir nun Zeit hätten uns umzuziehen. Aha, sind wir also nicht passend gekleidet? Na dann, nach so einer charmanten Aufforderung blieb uns wohl nichts anders übrig als uns unsere schönen Röcke und Oberteile überzuwerfen und die Haare nochmals zu binden um nicht völlig underdressed aus der Masse herauszustechen.
Pünktlich um 7.05 haben wir uns dann am Frühstückstisch versammelt. Die Vorstellung, dass ganz Sri Lanka sich gerade zum Essen versammelte ist echt schön. Bevor wir uns aber übers Essen hermachten, kamen die Kinder alle zu uns, knieten vor uns nieder, berührten mit ihren Fingern unsere Füsse und dann ihre Stirn, standen auf und drückten ihre Wangen an unsere und wünschten uns ein Happy New Year. Ein echt bewegender Moment, wenn sich jemand so unterwürfig vor einem niederlässt. Diese Handlung, auch Poem genannt ist für sie aber nicht Unterwürfigkeit, sondern Dankbarkeit und Respekt oder als Entschuldigung gemeint. Und das muss man sie auch machen lassen, sonst würden sie sich dessen nicht wert fühlen oder so ähnlich. Anyway, hatte also da schon die erste Träne zu verdrücken…
Zum Frühstück gab es Milchreisschnitten mit einem Zwiebel-Chilli-Würzzeugs und irgendwelches Gebäck und Bananen. Der Milchreis ist hier in Sri Lanka ein traditionelles und vor allem sehr beliebtes Essen. Also das mit der Tradition verstehen wir Deutschen hier schon, aber das mit dem beliebt überhaupt nicht. Das Zeug schmeckt irgendwie nach nichts und doch komisch. Ausserdem essen die ja eh schon drei Mal am Tag Reis und wie kann dann so was so besonders sein? Wie haben uns auf jeden Fall köstlich darüber amüsiert, während wir versucht haben ihn mehr oder weniger runter zu würgen. Das Gebäck wiederrum ist herrlich…
Frank, der Leiter des Projekts hier, hat sich das Neujahrsfrühstück entgehen lassen. Der Fahrer des Heims war dann schon drauf und dran ihm etwas einzupacken, zu ihm zu fahren und ihn in den Genuss des leckeren Frühstücks kommen zu lassen. In diesem Moment haben Isa, Julia und ich uns fast schlapp gelacht. Eben, für sie so was Besonderes, und für andere ein Grund einer „Party“ fern zu bleiben
Übrigens hat jeder Handybesitzer eine SMS vom Präsidenten erhalten, in der er auf Englisch, Singhalesisch und Tamilisch eine frohes neues Jahr wünscht – würde ich mir das von unserer Kanzlerin auch wünschen?
Da am 14. April mehr als die Hälfte der Mädchen ferienbedingt bei ihren Eltern oder Verwandten waren wurden die Feierlichkeiten quasi aufgeteilt. Nach dem ersten Teil würden normalerweise traditionelle Spiele stattfinden. Dieser Teil wurde auf das letzte Ferienwochenende verlegt, wenn alle Mädchen wieder zurück sein werden.
Diesen Samstag, den 20. April war es dann auch endlich soweit. Bereits der Freitag war durchzogen von Vorbereitungen. Es mussten Cooldrinks vorbereitet werden, Primalattasass den ganzen Tag bis spät in die Nacht an der Nähmaschine und fertigte Kleider für die Mädchen, damit jede hübsch aussieht, Spiele wurden vorbereitet, Preise verpackt, Siegesschärpen angefertigt, Blumen gepflückt und noch so vieles mehr.
Theekshane, die Matron im Angels Home for Children und Maheshi, die Managerin hatten alle Hände voll zu tun den Mädels einen wunderschönen Tag zu gestalten.
Am Samstag, nach der üblichen Gartenarbeit, dem Aufstehen um 5 Uhr folgte dann ein allgemeines Herausputzen. Die besten Kleider wurden angelegt, die Gesichter gepudert, die Haare geölt, die Lippen nachgezogen, Schmuck und alles was aufzutreiben war wurde angelegt. Die Mädchen sahen fantastisch aus. Isabell und ich mussten nicht auf dem Wink mit dem Zaunpfahl warten und schmissen uns auch in Schale. Das erste Mal, dass ich mich morgens um 8.30 Uhr für eine Party aufgemotzt habe
Nach einer kleinen Gesangseinlage mit kurzem Theaterspiel war der langersehnte Spieletag eröffnet. Begonnen wurde mit einem Schönheitswettbewerb in verschiedenen Altersklassen – Julia, Frank, Isabell und ich hatten die ehrenvolle Aufgabe die Jury zu bilden. Danach folgten insgesamt 15 Spiele wie Limettenlauf – Eierlauf mit Limetten, Tauziehen, verschiedene Rennen, Luftballonaufblasen , im Mehl suchenund viele mehr.
Hervorzuheben wäre das Bun-Eating. Am Volleyballnetz wurden brötchenartige Gebäcke an Seilen angebracht. Die Mädchen mussten diese mit auf dem Rücken verbundenen Händen so schnell wie möglich essen. Das Spiel an sich ist nicht besonders speziell, aber die Art und Weise, wie sich die Mädchen anfeuerten, die Lautstärke, die uns plötzlich umgab und dann noch der Ehrgeiz in den Gesichtern der „essenden“ Mädchen. Da hat es mir für einen Moment wirklich die Sprache verschlagen.
Die traditionelle Kissenschlacht habe ich auch ausprobiert, bin aber kläglich gescheitert. Man sitzt auf einem Holzbalken und bekommt ein Kissen in die Hand gedrückt und muss damit versuchen, den Gegner vom Balken zu stossen. Hirosha ist gegen mich ausserhalb des Wettkampfs angetreten. Bevor es losging meinte sie noch – „I only do gently“ und lachte. Tja, obwohl sie nicht alles gab hab ich mich nicht lange auf dem Balken gehalten – aber sehr lustig war es. Einige der Mädchen haben Kämpfe über Minuten ausgeführt. Genauso wild angefeuert von der Gruppe Zuschauer wie beim Bun-Eating.
Das traditionellste Spiel ist das Tontopfzerschlagen. An einer Schnur werden Tontöpfe aufgehängt, der Spieler bekommt einen Holzstab in die Hand und die Augen verbunden und muss blind den Tontopf finden und zerschlagen. Die Füllung des Topfes ist für den Sieg entscheidend. Die einen sind mit Sand, Schlamm, Fröschen oder ähnlich unansehnlichem gefüllt. Der Topf der Begierde ist mit blau gefärbtem Wasser und Blüten gefüllt. Nach einigen knappe verpassten Chancen der Mädchen schaffte es Maheshi auf Anhieb den richtigen zu treffen und konnte das Spiel für sich gewinnen.
Ein Highlight war, als die Angestellten gegen die Kinder mit Franks Unterstützung Tauziehen durften – glücklicherweise haben die Angestellten, zu denen ich mich auch zählte 3 Mal überragend gewonnen. Die Matron ist darüber so ausgeflippt, als hätte sie einen Sechser im Lotto. Diese Freude und der Spass an den Spielen wurde heute mehrmals sichtbar und hat mich jedes Mal tief berührt. Sie feuerte an, half den Kleinsten den Sieg gegen die Grossen zu gewinnen, zeigte immer Einsatz, stand wahrscheinlich permanent unter Strom und war aber zusammen mit Maheshi immer gut gelaunt. Sie beiden haben es geschafft, den Mädchen und auch mir einen wunderschönen Tag zu bescheren. Mit viel Lachen, Freude, Siegen und ganz viel strahlenden Augen!
Zum Abschluss gab es eine kleine Siegerehrungen für die Schönheitsköniginnen und der Gewinnerin des jeweiligen Spiels. Das wirkliche Ende wurde durch das Singen der Nationalhymne definitiv. Und so endet auch jeder noch so schöne Tag.
Danach kehrte der Alltag wieder ein, es mussten die Sachen aufgeräumt, der Garten gemacht werden. Und alle – Kinder wie Angestellte waren todmüde und gingen freiwillig um 20 Uhr ins Bett!
Ein wunderbarer Tag, der kaum noch zu toppen sein wird und vermutlich in unser aller Erinnerung seinen Platz findet – Danke Angels Home for Children, Danke Theekshane und Maheshi und danke an all die lachenden und strahlenden Kinder!
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