Zwei Kulturen - drei verschiedene Sprachen
„Was stellst du dir an der Arbeit im Angels Home for Children schwierig vor?“ Eine Frage, die vor Beginn meines Praktikums in dem Fragebogen für die Bewerbung auftauchte. Es ist zwar fast ein halbes Jahr her aber ich weiß noch, dass der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam, die Sprache bzw. die Verständigung war. Im Angels Home würden zwei Kulturen und drei verschiedene Sprachen aufeinandertreffen - die Sprachen Singhalesisch, Englisch und Deutsch. Ich wäre umgeben von Kindern, deren Muttersprache sich nicht mit meiner gleicht. Wie würde sich das anfühlen und in wie weit hätte es Auswirkungen auf die Arbeit und das Zusammenleben? Hätte es überhaupt Auswirkungen? Fragen, auf die es für mich zu dem Zeitpunkt keine Antwort gab. Nun aber lebe ich seit über einem Monat im Angels Home, sitze auf der Terrasse von uns Praktikantinnen, schreibe diesen Bericht und kann diese Fragen so langsam mit Antworten füllen.
Ich denke an meinen zweiten Tag im Angels Home, an dem ich mit Sandiya, Supipi, Wathsala und Vindiya auf der Bühne Karten gespielt habe. Die vier Mädchen gehören zu den Zwergen hier im Heim und sind eigentlich noch so ziemlich am Anfang ihrer Englisch-Karriere. „Your name?“ wurde ich erst mal neugierig gefragt und ich wollte auch ihre Namen wissen. Dann ging es aber auch schon los mit Spielen. Ich kannte das Kartenspiel und dachte „Kein Problem!“ aber ich wurde schräg angeschaut und es wurde laut gelacht, wenn ich an der Reihe war. Scheinbar spielten die Mädchen das Spiel mit anderen Regeln und ich hatte was falsch gemacht. Aber was? Ich schaute sie fragend an, musste auch lachen und sie lachten noch mehr, bis sie es mir erklärten. Ich verstand nur leider kein Wort, da sie singhalesisch sprachen. Ich fragte daraufhin automatisch etwas auf Englisch, was natürlich auch ziemlich wenig Sinn hatte, da sie mich wiederum nicht verstanden. Schon wieder waren wir alle am grinsen und spielten einfach weiter. Nach ein paar Runden wurden mir die Regeln auch von allein klar. Hätte ich die Erklärung der Mädels von Anfang an verstanden, hätten wir sicher nicht so viel zu lachen gehabt.
Dann denke ich an die kleine Achini, die so oft auf mich zugerannt kommt und mir ganz viel auf Singhalesisch erzählt und Fragen stellt. Oftmals hat von uns keiner auch nur die leiseste Ahnung davon, was der andere sagt und trotzdem reden wir irgendwie miteinander. Auch denke ich an die Gartenarbeit, bei der Bodika manchmal vor mir steht, mich angrinst und sich vor der Arbeit drücken möchte. Normalerweise würde ich etwas sagen wie „Na komm, schnapp dir den Besen, dann kannst du dahinten anfangen“, jedoch gibt es „normalerweise“ hier nicht. Hier versuche ich Bodika das auf andere Weise zu sagen, nämlich „mit Händen und Füßen“
Und genauso ist es, im Angels Home nutze ich neben meinen Worten eben meine Hände und die Mimik und Gestik, um meine Gedanken auszudrücken und so verwandelt sich mein Körper in ein Sprachrohr. Auf diese Weise habe ich das Gefühl, die Unterhaltungen teilweise intensiver zu führen, als wenn ich nur meine Worte benutzen würde. Hier kann ich nicht davon ausgehen, dass mich die Mädchen von Anhieb verstehen und dementsprechend anders verhalte ich mich ihnen gegenüber. Sowohl die Mädchen als auch ich werden kreativ und so schaffen wir es, uns das zu sagen, was wir sagen wollen, mal mit wenigen, mal mit viel Worten. Und wenn wir es nicht schaffen, ist es auch kein Weltuntergang.
Es gibt aber auch Situationen, die ich ganz anders empfinde. Hier im Angels Home fließen immer mal wieder Tränen. Ich höre dann zum Beispiel ein Mädchen, was „Melinaaa, she hit, she hit!“ ruft und auf ein anderes Mädchen zeigt. Oftmals sind es nur banale Dinge, eben diese typischen „Aber die hat mir doch die Schippe weg genommen“ oder „Sie hat aber angefangen“ - Dinge, die meistens mehr oder weniger schnell zu klären sind. Manchmal gibt es aber Tränen, die nicht so schnell trocknen. Wenn ich ein Mädchen weinen sehe, gehe ich natürlich zu ihr und frage sie was los ist. Oft ist es dann aber so, dass ich keine Antwort kriege, was sicher auch manchmal daran liegt, dass sie es mir einfach nicht sagen wollen. Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass sie zwar etwas sagen wollen aber nicht genau wissen, welche Worte sie wählen sollen, damit ich sie verstehe. Sie reden dann lieber mit dem einheimischen Personal und mir würde es an ihrer Stelle nicht anders gehen. Oder die Situation, wenn zum Beispiel Padmini zu mir kommt und etwas sagt, dass ich nicht verstehe und mir die größeren Mädchen, die schon sehr gut Englisch können, beim Übersetzen helfen. Ich bin ihnen dafür jedes Mal sehr dankbar aber in diesem Moment führen sie das Gespräch und nicht mehr ich. Sie übernehmen dann meinen Part und geben das, was ich sagen möchte, in einer mir fremden Sprache wieder. Das was Padmini sagt, geben sie wiederum in einer Sprache wieder, die ihr teilweise fremd ist. In diesem Moment habe ich nicht wirklich das Gefühl, mit Padmini gesprochen zu haben.
So habe ich in den letzten Wochen gemerkt, dass mich die verschiedenen Sprachen den Mädchen auf der einen Seite ganz nah bringen, auf der anderen Seite aber auch gleichermaßen von ihnen entfernen.
“Sprichst du mit jemandem in einer Sprache, die er versteht, so erreichst du seinen Kopf; sprichst du mit ihm aber in seiner eigenen Sprache, so erreichst du sein Herz.“. Ein Zitat von Nelson Mandela, über das sich vielleicht streiten lässt aber ich hoffe einfach, dass ich trotz der unterschiedlichen Sprachen das Herz der Mädchen erreiche, wenn auch nur für einen kleinen Moment.
Grüße aus dem Angels Home
Melina
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