Paradiesvogel
Dass ich eigentlich woanders lebe, als alle anderen Menschen um mich herum, bekomme ich jedes Mal zu spüren, wenn ich das Angels Home verlasse, denn ab genau diesem Moment habe ich das Gefühl, ungewollt und automatisch in die Rolle eines Paradiesvogels zu schlüpfen.
Wenn ich im „Stammsupermarkt“ von uns Praktikantinnen einkaufe, lächeln mich die Verkäuferinnen nicht nur an, wenn ich den Laden betrete, sondern während meines gesamten Einkaufes, als wären sie mit ihren Blicken ständig bei mir, um sicher zu gehen, dass ich auch zurechtkomme. Sie bringen mir einen Korb, wenn sie sehen, dass meine Hände zu voll sind und sind sofort zur Stelle, wenn ich etwas Bestimmtes suche.
Wenn ich in den Bus steige, der oft total überfüllt ist, bin ich auf Grund der rasanten Fahrweise im ersten Moment meistens damit beschäftigt, Halt zu finden, um nicht wieder rückwärts aus dem Bus zu fallen. Im zweiten Moment merke ich, dass viele Augen im Bus auf mich gerichtet sind und ich versuche daraufhin, ihnen auszuweichen.
Im dritten Moment spüre ich eine Hand auf meinem Rücken, die mich immer wieder antippt und höre eine Stimme, die sagt „Sit here, sit here“. Ich drehe mich nicht um und reagiere nicht, in der Hoffnung, dass der Typ Ruhe gibt. Fehlanzeige! Er macht weiter, ich drehe mich schließlich zu ihm um und sehe einen Mann, der mich erwartungsvoll und breit grinsend anschaut. Er lässt mich in Ruhe, nachdem ich ihm einen mehr als genervten Blick zuwerfe und „No!“ sage.
Ganz zu schweigen von den vielen Tuk Tuks, Bussen, Autos, oder Rollern, die, wenn ich am Straßenrand entlang gehe, meistens nicht an mir vorbeifahren, ohne zu hupen. Obwohl ich das weiß, zucke ich noch total oft zusammen, denn vor allem das Hupen von Bussen geht durch den ganzen Körper. Manchmal werden sie auch extra langsamer, fahren im Schritttempo neben her und rufen „Heeeey lady, how are you? Where are you going?“ oder „Whats your name?“. Ich gehe ganz normal weiter und wenn ich denn dann mal darauf reagiere, dann mit einem „Moin“, weil sie das eh nicht verstehen oder denke mir irgendeinen Namen aus und muss grinsen, wenn sie versuchen „Elisabeth“ nachzusprechen.
Wenn ich nicht allein, sondern mit einem zweiten Paradiesvogel, meiner Mitpraktikantin Lizzy unterwegs bin, ist das Ganze natürlich doppelt interessant. Am vergangenen Donnerstag schauten wir uns gemeinsam das Sportevent der Schule, die von den älteren Mädchen des Angels Home besucht wird, an. Als wir den Sportplatz betraten, wurden wir, wie soll es auch anders sein, erst mal von vielen Seiten begutachtet. Wir schauten uns ein wenig um und Lizzy murmelte nach ein paar Minuten „Ich glaub wir sind hier gerade die Attraktion und nicht das Sportevent“.
Die Sitzplätze schienen schon alle belegt zu sein und wir stellten uns an den Rand. Nach kurzer Zeit machte eine Dame auf sich aufmerksam, winkte uns zu sich und zeigte auf zwei noch freie Stühle. Sofort machten alle rund herum Platz, um uns die Stühle herüber zu reichen und zack - saßen wir in der ersten Reihe.
All die Situationen, die ich hier beschreibe (und ich könnte noch viele weitere nennen), machen mir immer wieder klar, dass ich anders bin, als die vielen anderen Menschen um mich herum, dass ich eine Art „Sonderstatus“ aufgedrückt bekomme und eben auch dementsprechend auf mich reagiert wird. In diesem Land falle ich durch mein Aussehen auf, wie ein Paradiesvogel eben, der mit seinem ausgefallenen Federschmuck seine Blicke auf sich zieht. Dass ich diesen „Sonderstatus“ überhaupt nicht will, ist völlig egal.
Wenn ich zurück ins Angels Home komme und das Tor hinter mir ins Schloss fallen lasse, kann ich das Kostüm des Paradiesvogels, das mir angezogen wurde, wieder ablegen. Auch wenn ich nun wieder eine andere Rolle annehme, nämlich die der Praktikantin, kann ich trotzdem wieder Ich sein. Die Kinder interessieren sich für meine Herkunft und fragen mich hin und wieder mal, wie denn dies und jenes in Deutschland ist und vermutlich bin ich für sie in gewisser Weise auch „irgendwie anders“. Sie stellen jedoch trotz allem nicht die Herkunft sondern den Menschen in den Vordergrund. Von ihnen bekomme ich diesen Sonderstatus nicht aufgezwungen und sie behandeln mich nicht anders, nur weil ich woanders herkomme.
So viele Unterschiede es zwischen den Kindern hier im Angels Home und den Kindern in Deutschland geben mag, so haben sie doch etwas gemeinsam: Es ist ihnen egal, woher Du kommst.
Sonnige Grüße,
Melina
- Aufrufe: 2454