Die Sonne scheint wieder
Eine kleine heile Welt - Die Sonne scheint wieder.
Seit zwei Wochen scheint wieder die Sonne und schnell haben die Mädchen vergessen, dass es hier über Wochen hinweg tagelang geregnet hat, sie nicht draußen spielen konnten, die Wäsche nicht getrocknet ist und sich die Mücken extrem vermehrt haben.
Die Schule hat wieder angefangen und alle, auch wir Praktikantinnen, leben im Alltag, leben nach dem strikten Tageszeitplan mit Waschen, Hausaufgaben, Nachhilfe, essen, lernen usw. hier im Angels Home, weitab von den dem, was der ganze Regen im Land angerichtet hat. Dass es so viel geregnet hat, dass tausende Menschen ihre Häuser verlassen mussten und mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen sind, ist nicht wirklich in unserem Bewusstsein.
Denn für uns scheint die Sonne wieder.
Es ist natürlich gut, dass die Mädchen, gerade weil sie hier ein sicheres Zuhause haben, vor solchen Dingen verschont sind, aber auf der anderen Seite bekommt man hier auch so wenig von der Armut und den schwierigen Verhältnissen im Land mit, dass ich mich frage, wie die Kinder die Welt sehen werden, wenn sie die Geborgenheit des Heims irgendwann verlassen und ihr eigenes Leben führen.
Wir leben hier im unbeschwerten Alltag und ich befasse mich nur mit solch nichtigen Problemen, wie dass eine Asitha bei der Nachhilfe nicht mitmacht, weil sie, aus welchem Grund auch immer, beleidigt ist oder dass der Strom mal nicht geht, weil der ganze Regen einen Kurzschluss verursacht hat.
Und auch wenn ich mal rausgehe, mit Lizzy und Melina an den Strand fahre, sehe ich statt den herunter gekommenen Fischerhütten und noch immer überschwemmten Feldern am Straßenrand, die Sonne durch die Palmen scheinen und ich genieße es, in dieser traumhaften Umgebung sein zu dürfen.
Ich weiss ja, dass ich immer wieder zurückkehre in die Geborgenheit des Heims. Hier spielen und lachen die Mädchen und es scheint, als würden sie nicht wissen, was außerhalb ihres heilen Zuhauses vor sich geht. Selbst wenn sie zum Beispiel in den Ferien wieder mit der Armut ihrer Familie konfrontiert werden, können sie wieder zurück flüchten in diese kleine heile Welt hier im Angels Home.
Diese Welt werde ich in nur einer Woche verlassen, weil meine Praktikumszeit vorrüber geht und es fällt mir schwer zu glauben, dass ich schon fast 10 Wochen hier gelebt und geholfen habe, täglich die gleichen Gesichter gesehen habe und 70 Tage mit Blick auf einen Palmenwald aufgewacht bin.
Es ist unglaublich wie viel ich gesehen und erlebt habe und ich nehme diese Erfahrungen jetzt mit zurück nach Deutschland, in dieses andere Land, das viel weniger Leid und Armut verspricht.
In eine heile Welt, die mir aber vermutlich nie das gleiche Gefühl der Leichtigkeit und Geborgenheit bieten kann, die ich hier im Angels Home erlebt habe. Weil es dort diesen Ort nicht gibt, an dem nur die Sonne scheinen muss, um sorglos zu sein und an den man sich zurückziehen kann und die großen Probleme vergessen.
Ich werde diesen Ort verlassen und die meisten der Mädchen vermutlich nie mehr wieder sehen und ich werde nicht mitbekommen, wie sie sich entwickeln und niemand weiss wie ihr Leben aussehen wird, wenn auch sie irgendwann die heile Welt hier verlassen, um ein eigenes Leben aufzubauen.
Ich hoffe von ganzem Herzen, dass alle Mädchen ihre Fröhlichkeit und Unbeschwertheit beibehalten, mit der sie auch mir gezeigt haben, zu leben. Und ich hoffe dass für diejenigen, die irgendwann ein eigenständiges Leben außerhalb des Angels Homes führen, weiterhin die Sonne scheint.
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