Für euch lohnt es sich zu kämpfen
49 Kinder. Vor drei Wochen waren Sie noch wie Fremde für mich. Mittlerweile kenne ich alle Namen, weiss wer gut in Mathe ist und wer schlecht in Englisch. Ich weiss wer ein kleiner Chaot ist und wer hingegen sehr ordentlich ist. Ich weiss wer morgens noch ein bisschen verträumt ist und wer abends nicht gut einschlafen kann. Ich weiss auch, dass alle Kinder aus armen Verhältnissen kommen und viele von Ihnen Probleme haben dem Schulunterricht gut zu folgen. Jetzt stehen die nächsten Prüfungen bevor. Für die zwei ältesten Mädchen steht es jetzt an für das O-Level (vergleichbar mit dem Realschulabschluss) zu lernen.
Ein guter Abschluss und eine gute Ausbildung sind wichtig um später einen sicheren und einigermassen gut bezahlten Job zu erhalten.
Aber die Frage bleibt wer sein O-Level überhaupt schaffen wird. Denn schon jetzt ist klar: Ein Grossteil dieser Kinder wird das O-Level wahrscheinlich nicht schaffen und später nur einen schlechten Job (oder gar keinen Job und dafür einen Ehemann;)) ergattern. Wenn ich den Kindern zum Beispiel bei den Englisch Hausaufgaben helfe, dann kann das manchmal eine sehr frustrierende Angelegenheit sein. Zum einen weil ich bei den meisten Kindern das Gefühl habe, dass sie gar nicht verstehen wollen, sondern es ihnen nur darum geht so schnell wie möglich die Hausaufgaben hinter sich zu bringen. Zum Anderen, weil viele Mädchen so grosse Wissenslücken haben und ich gar nicht weiss wo ich anfangen soll beim Erklären. Wenn ich dann fast eine ganze Stunde erfolglos damit beschäftigt bin einem Kind beizubringen, wann man das simple past und wann man das simple present benutzt, dann verlässt mich doch manchmal der Mut. Dann denke ich mir, bringt es überhaupt etwas meine ganze Energie in dieses Kind zu stecken, wenn es erstens, nicht mal Lust hat zu lernen und zweitens aber auch gar nichts versteht von dem was ich ihm erklären will. Bringt es überhaupt etwas, wenn das Kind mit grosser Wahrscheinlichkeit sein O-Level doch nicht schaffen wird? Und wahrscheinlich doch nur einen schlechten oder mittelmäßigen Job, aufgrund einer schlechten Ausbildung ergattern wird?
Wenn die Zukunft von vieler dieser Mädchen sowieso schon vorherbestimmt zu sein scheint, bringt es dann überhaupt etwas diesen Kindern helfen zu wollen? Wenn es von Anfang an beinahe klar ist, dass der Grossteil dieser Kinder nie studieren und nur mit viel Glück eine gute Ausbildung erlangen wird?
Ich denke ja: Man sollte trotzdem sein Bestes geben um den Kindern zu helfen, auch wenn dies manchmal frustrierend sein kann. Und auch wenn nur eine oder zwei von ihnen überhaupt das O-Level schaffen können und einen „guten“ Job kriegen werden. Selbst für diese zwei lohnt es sich schon. Und allen anderen Kindern hat man eine sichere und schöne Kindheit geschenkt, und das ist eins der größten Geschenke, dass man jemandem machen kann.
Wenn ich mir das Angels Home und die selbstbewussten und starken Kinder so anschaue, dann kann ich mit voller Überzeugung sagen: Ja es lohnt sich zu kämpfen für euch. Es lohnt sich zu kämpfen für diese süßen, lieben, frechen, tollen und manchmal etwas schwerfälligen Kinder. Wenn wir Ihnen nicht zeigen, was Sie wert sind und dass Sie es schaffen können, wenn wir nicht an sie glauben, wer sollte es sonst tun? Es lohnt sich zu kämpfen gegen Armut, ein schlechtes Schulsystem und Hoffnungslosigkeit. Es lohnt sich zu kämpfen, um Dinesha, um Achini, um Shanika, um Rashani, um Vindiya, um Samitha, um Sandamali, um Eshani und um alle anderen. Es lohnt sich zu kämpfen, um jede Einzelne von euch.
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