Geht’s auch ohne …?
… Handy oder gar Smartphone? ·····JA!
In Deutschland haben viele Kinder schon in der Grundschule ihr eigenes Handy, wenn nicht gar ein Smartphone. „Damit ich meine Eltern anrufen kann, wenn irgendetwas ist …“. Früher ging´s bei uns auch ohne. Hier in Sri Lanka kommen die Kinder auch heute noch gut ohne diese Kommunikationstechnik aus. Sind die deutschen Kinder so verwöhnt? Macht man es sich in Deutschland zu einfach? Ich will mich da selbst gar nicht ausnehmen. Auch ich bin begeisterte Nutzerin der Vorteile eines Smartphones – sei es, um Bilder über WhatsApp zu verschicken oder eben per Handy die neuesten Facebook-Nachrichten zu checken. Doch brauche ich diese Annehmlichkeiten wirklich oder sind sie nur Zeichen von abgehobenem Lebensstandard und phantasieloser Bequemlichkeit?
… Playstation 3, Xbox 360, Nintendo Wii? JA!
Schon viele Praktikantinnen haben berichtet, dass die Kinder hier weder Playstation noch Xbox oder Wii brauchen, um sich zu beschäftigen. Während sich an deutschen Schulen jeden Montag die meisten Gespräche um die Playstation-Spiele des vergangenen Wochenendes drehen, wird uns hier klar, dass ein Kind nun wirklich keine Elektrogeräte benötigt, um ein lustiges Spiel zu spielen: frische Luft, Kokosnüsse, Mangokerne, Blätter, Sand, Wasser – mit diesen einfachen Zutaten gelingen viele Spiele, von Hüpfspielen wie Talobata bis hin zum Kaffeeklatsch mit „chocolate cake“.
Und das vergnügte Kreischen, wenn man vermeintlich versucht, herzhaft in diesen Sandkuchen zu beißen, verdeutlicht nur zu gut, dass weder Fernbedienung noch Joystick notwendig sind, um ein Kind glücklich zu machen …
… einen Fernseher? JEIN!
Fernsehgucken ist auch hier beliebt. Doch hat keines der Kinder einen eigenen Fernseher auf dem Zimmer bzw. im Schlafsaal. Auch setzt sich kein Kind alleine vor die Flimmerkiste. Es würde sich auch niemand von der nächsten Brücke stürzen, wenn der Fernseher mal kaputt wäre. Wenn aber abends oder am Wochenende ferngesehen wird, geschieht das gemeinsam auf der Dachterrasse. Es ist ein toller Anblick, wenn alle Kinder, vereint auf einer Matte sitzend, gebannt einem (für mich) recht flachen Bollywoodstreifen folgen; übrigens auf einem nicht flachen und ziemlich „kleinen“ Fernseher! Auch 16-jährige Mädchen lachen herzhaft über Situationen, bei denen ein deutscher Teenie nicht einmal müde lächeln würde. Ist es die Mentalität? Ein Stück weit Naivität? Oder ist es einfach noch das Besondere der Fernsehwelt, das für uns Europäer schon so normal ist, dass der Fernseher bereits beim Frühstück läuft?
… Waschmaschine und Trockner? JA!
Im optimalen Fall werden jeden Mittag die weißen Schuluniformen und jeden Abend die Anziehsachen des vergangenen Tages gemeinsam gewaschen. Nur mit klarem Wasser und Kernseife. Kein Hygiene- oder Weichspüler, keine Mama, die die schmutzigen Sachen einfach in die Waschmaschine stopft, dann in den Trockner und anschließend gebügelt und gefaltet in den Kinderkleiderschrank legt. Das Trocknen übernimmt hier die Sonne; und in der Monsunzeit schützt ein großes Dach die trocknenden Sachen …
… Duschbad und Massageduschkopf? JA!
Fließend warmes Wasser gibt es nicht – weder für die Kinder noch für uns Praktikantinnen. Doch während wir uns unter die (kalte!) Dusche stellen können, schnappen sich die Kleinen eine Plastikschüssel, schöpfen Wasser aus einem großen Becken und schütten sich das Wasser über den Körper. Dann wird alles eingeseift und wieder abgespült. Auch wenn manchmal die Tränen fließen, weil man gerade so gar keine Lust auf´s Waschen hat oder das Wasser zu kalt ist (unglaublich, aber wahr: Bei über 30 °C Lufttemperatur bekommen die Kleinen oft Gänsehaut von dem „kalten“ Wasser …), ist das gemeinsame Waschen zwar manchmal eine recht nervenaufreibende, aber doch auch irgendwie interessante Angelegenheit. Einerseits lustig, wenn ein älteres Mädchen der schlotternden Kleinen grinsend noch eine Ladung Wasser über den Rücken kippt, andererseits berührend, wenn man sieht, wie die älteren Mädchen die kleineren unterstützen (auch wenn das leider nicht so oft vorkommt, wie es eigentlich sollte …).
… Elektroherd, Mikrowelle und Geschirrspülmaschine? JA!
Offene Kochstelle und jeder wäscht sein benutztes Geschirr selbst ab. Kurz und knapp: Ja, es geht !
… Freunde? NEIN!
Bereits im Kindesalter werden Freundschaften geknüpft. Auch ich bin mit meinen besten Freunden teilweise schon in den Kindergarten oder in die Grundschule gegangen. Im Angels Home ist es da nicht anders. Jedes Kind sucht Anschluss, vom ersten Tag an. Jedes Kind möchte eine oder mehrere Personen haben, denen es vertrauen kann, wo doch alles neu ist und wo man seine Familie doch verlassen musste. Natürlich gibt es bei 52 Mädchen so einiges an Rumgezicke. Es wird gepetzt (Im Gegensatz zu Deutschland ist dies hier in Sri Lanka jedoch erwünscht!). Es wird gelogen. Doch es wird auch gelacht, getuschelt, gekichert und getröstet. Es ist natürlich nicht einfach, Freundschaften aufrecht zu erhalten, wenn doch zwischendurch immer mal wieder ein Kind in sein Elternhaus zurückkehren kann und immer wieder neue Kinder kommen. Doch bereits die Kleinsten knüpfen „Sandkastenfreundschaften“ und einige der Teenies, die schon länger hier leben, wie beispielsweise Anne, Chanchala und Hiruni, verbindet eine tiefe Freundschaft, die bereits Jahre besteht.
… Familie? NEIN!
Auf den ersten Blick müsste hier als Antwort eigentlich JA stehen. Sind wir doch schließlich in einem Waisenhaus. Einer Einrichtung für Kinder, die zu Hause unerwünscht sind, von Familienmitgliedern misshandelt wurden oder durch neue Kinder mit dem neuen Lebenspartner ausgetauscht wurden. Da geht es den Kindern hier ohne ihre Familie doch besser. Oder nicht?! Dies mag für einige der Kinder vielleicht der Fall sein. Doch sicherlich nicht für alle. Viele der Kinder wurden aus Armutsgründen ins Angels Home gebracht. Die Familie wollte ihr Kind gut versorgt wissen, ihm bessere Zukunftsaussichten auf den Weg geben. Einige dieser Familien kommen auch an den Besuchertagen; und bei vielen Kindern wird deutlich, dass sie unbedingt wieder zu ihren Familien zurück möchten.
In manchen Fällen ist ein Teil der Familie sogar mit im Angels Home: acht Geschwisterpärchen leben hier. Nehmen wir als Beispiel Sawani und Salani. Es ist rührend, wie die zwölfjährige Sawani sich um ihre jüngere Schwester kümmert und wie diese zu ihr aufblickt. Ein Stück Familie in dieser ansonsten recht zusammengewürfelten Gruppe …
Natürlich versuchen das Personal und auch wir Praktikantinnen, den Kindern, im Rahmen unserer Möglichkeiten, die Geborgenheit und Liebe zu geben, die andere Kinder in ihren Familien erfahren dürfen. Doch 52 Kindern die gleiche Aufmerksamkeit zuteil werden lassen? Das ist sehr, sehr schwierig.
Sicherlich können gute Freunde, Julia und Frank, das Personal und vielleicht übergangsweise sogar wir Praktikantinnen da so einiges wettmachen. Doch eine Familie ersetzen?! Das ist eine große, kaum zu meisternde Aufgabe. Wir geben uns alle Mühe!
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