In einem Land vor unserer Zeit.
Vier Wochen ist es nun her, dass ich von einem Land vor unserer Zeit zurück in die Zukunft, zurück ins 21. Jahrhundert gereist bin. Mein Aufenthalt in Sri Lanka war beendet. In diesem Land habe ich erfahren was es heißt täglich mit der Hand seine Wäsche zu waschen, den ganzen Tag barfuss herumzulaufen, gesellschaftliche Rückstände unmittelbar vor Augen zu haben, von seinen Eltern vernachlässigt, aufgegeben und gepeinigt zu werden, wie Züge vor 150 Jahren aussahen – kurzum, ich habe zahllose Erfahrung gemacht während meines 2-monatigen Aufenthalts im Angels Home, in Sri Lanka, die ich nur hier in dieser Form habe machen können.
Einige dieser Erfahrungen werden meine weiteren täglichen Entscheidungen beeinflussen, viele werden einfach Erinnerungen bleiben. Denn, wie von dem ein oder anderen nach meiner Rückkunft in Deutschland befragt, nein, mein Leben hat sich nicht grundlegend geändert. Das kann ich sagen ohne rot zu werden. Alles andere wäre scheinheilig.
Vielleicht verhält sich das auch deshalb so, da ich nicht permanent und offensichtlich großes Leid vor mir gesehen habe. Ich möchte nicht gar zu euphemistisch klingen aber zu vielen Zeitpunkten hatte das Leben im Heim Feriencamp-Charakter und wir Praktikantinnen waren die Animateure. Die Mädchen haben sich gefreut, sobald sie einen gesehen haben. Sie wollten immer spielen, waren zu Scherzen aufgelegt, kreischten, wenn ich sie durch die Luft wirbelte und kosten sich gegenseitig. Das war es auch, was meinen Aufenthalt so angenehm, so herzlich, so wiederholenswert gemacht hat. Die Mädchen haben mich regelmäßig zum Lachen gebracht, sei es durch ihr Lachen, durch ihre Konfusion oder sonstige Situationskomik.
Gleichzeitig hat es mich gequält zu sehen, wie manche litten, zum Beispiel als sie in den Ferien nicht von ihren Eltern oder Angehörigen abgeholt wurden, um nur eines zu nennen. Weniger ergriffen als vielmehr liebenswert hat es mich auch gerührt als die kleine Asitha aus einem Blatt, Mini-Kokosnüssen, kleinen Ästen und einem stabilen Grashalm ein Wagen gebaut hat und diesen hinter sich her durch den Sand zog. Von diesen Alltagssituationen gab es viele. Ich musste nicht nach Sri Lanka reisen um herauszufinden, dass ein Kind kein iPad braucht, um sich zu beschäftigen, dennoch wurde mir die Wirkung der Einfachheit immer wieder aufs Neue vor Augen geführt.
In Erinnerung wird mir auch bleiben, als ich abends mit Hiruni auf dem Boden vor den Schulschränken saß, wir über dies und jenes quatschten und ich ihr schließlich weis machen wollte, dass Bildung das A und O sei. Hiruni antwortete mir sehr gelassen: „Weisst du Caro, Bildung ist wichtig, aber wir sind im Angels Home, wir haben andere Probleme, wir haben teilweise keine Eltern mehr.“ Schluck, schluck. Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Unvergessen bleibt mir auch das Gespräch mit Matron als ich kurz vor Mitternacht endlich den Computerraum verlassen habe und sie im Schlafanzug auf dem Flur getroffen habe. Sie hatte gerade ihren Nähmarathon an neuen Schulkleidern beendet und zur Entspannung noch eine Tasse Kaffee gebraut. Wir haben ein bisschen geplaudert und sind dann wie so oft auf die Mädchen gekommen. Selbst kinderlos, erkannte ich bei diesen Unterhaltungen immer schnell das warme Herz dieser älteren Frau. Ihr war es eine Sorge, dass die Mädchen kaum ein Ventil hatten, um ihr Inneres nach außen zu kehren und bat sie deshalb Gedichte zu schreiben, die sie über einen Bekannten in einer Zeitung veröffentlichen lassen wollte. Sie zog daraufhin einen Zettel hervor und übersetzte mir mit tränenunterdrückter Stimme ein Gedicht, welches Dinesha geschrieben hatte, über ein kleines Mädchen, fragend nach ihrer Mutter.
Auch das Personal ist mir ans Herz gewachsen, immerwährend fragend ob ich schon gegessen habe, genug gegessen habe, was ich gegessen habe etc. Genauso liebevoll wie sie sich um die Kinder kümmerten, kümmerten Sie sich um mich. Der zwischenmenschliche Umgang war ohnehin maßgebend während meines Aufenthalts. In Sri Lanka wird mangels technischen Fortschritts noch viel auf den Menschen reduziert. Diese Erfahrung zu machen ist viel wert. Wie Matron mir einmal während wir an einem Dansal (Stand, an den kostenlos Essen ausgegeben wird) anlässlich des buddhistischen Vesak-Festes anstanden gesagt hatte: „Poor country, rich in heart.“
Alle diese Erfahrungen, Erinnerungen und Bilder und noch viele, unglaublich viele mehr werde ich in meinem Herzen bewahren.
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