Don’t feel like dancing…und was sonst noch geschah...
Meine anfänglichen Bedenken bzw. Gespanntheit, wie die Kinder wohl auf mich reagieren würden, hat sich vollkommen gelegt. Die meisten Kleinen sind sehr aufgeschlossen und buhlen geradezu um deine Gunst. Manche Älteren empfinde ich als etwas distanzierter. Aber das mag auch einfach daran liegen, dass diese weniger Unterstützung bei den täglichen Tätigkeiten im Heim benötigen und daher der unmittelbare Kontakt nicht zwingend ständig gegeben ist. Der Tagesablauf der Kinder ist recht straff vorgegeben. Das ist schlicht dadurch bedingt, dass mit einer beachtlichen Anzahl von ca. 50 Kindern klare Regeln geschaffen werden müssen, um sie einigermaßen unter Kontrolle zu haben. Um sie auf ihr Leben nach der Schule und dem Heim vorzubereiten, gehen auch die Jüngsten regelmäßiger Hausarbeit wie Waschen, Gartenarbeit, Kochen und dergleichen nach. Waschen bedeutet hier übrigens nicht, ein Waschprogramm einzustellen und den Knopf zu drücken. Das ist alles Handarbeit. Sonst ist das Label „handmade“ sicherlich eine Qualitätsauszeichnung. Hierbei nicht wirklich. Die Mädchen waschen zwar jeden Tag ihre Kleider, aber oft genug sehen sie nach dem Waschen ähnlich aus wie vorher. Sie riechen allerdings besser.
Zur Ausbildung von Ordentlichkeitssinn und Verantwortungsbewusstsein werden morgens die trockenen Kleidungsstücke von der Wäscheleine genommen und auf einen Haufen gelegt. Jedes Kind ist verantwortlich seine Sachen dem Haufen zu entnehmen und gefaltet in den Kleiderschrank zu legen. In der Vergangenheit blieben von dem Haufen wohl immer noch diverse Kleidungsstücke übrig, für die sich keiner zuständig fühlte. Diese Kleidung wurde durch das Personal nun über einige Wochen gesammelt. Nachdem also offenbar nicht jeder ausreichend Verantwortungsbewusstsein und Wertempfinden entwickelt hat, griff Frank diese Woche zu beeindruckenderen Erziehungsmaßnahmen. Die gesammelten, herrenlosen Kleider wurden zu Bündeln geknüpft, alle Kinder mitsamt der Bündel zur Feuerstelle zitiert und dann das erste Bündel von Frank ins Feuer geworfen. Wir Praktikantinnen standen neugierig daneben und waren fest überzeugt, dass sich in dem Beutel lediglich irgendwelcher alter Schnickschnack und Müll befand. Als der Sack durch die Hitze riss, sahen wir in der Tat Kleidungstücke brennen! Da stand uns auch der Mund offen. Wie sich herausstellte handelte es sich um alte Lumpen, die ohnehin vernichtet hätten werden sollen; den Mädchen gegenüber blieb das natürlich ein Geheimnis. Die anderen Beutel mit den „guten“ Kleidern wurden nach Gelöbnis auf Besserung schließlich verschont. Die Aktion scheint auf jeden Fall Wirkung gezeigt zu haben; ich beobachtete wie sich Mädchen bekreuzigten während sie zurück zum Gebäude trabten.
Es beschleicht einen tatsächlich manchmal das Gefühl, dass die Kinder kein richtiges Wertgefühl besitzen und deshalb die Dinge, die man Ihnen anvertraut nicht richtig hüten. Also eigentlich müssten sie doch froh sein, dass ihnen hier Kleider und Spiele etc. zur Verfügung gestellt werden und deshalb auf diese entsprechend achten. Allerdings je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass das altersbedingt ist und nicht so sehr kulturell oder gesellschaftlich. Das gemeine deutsche Kind verdreckt schließlich auch seine Klamotten beim Spielen (mit dem Unterschied, dass es von Mami in der Miele-Waschmaschine mit Persil Megaperls bei 60 Grad wieder gesäubert werden kann), verschludert Puzzleteile und zerpflückt das liebevoll von Pateneltern angefertigte Photoalbum. Vielleicht täuscht mich der Eindruck, aber ich denke doch, dass die ältern Mädchen ein wenig vorsichtiger mit ihren Sachen umgehen. Ich werde das weiter recherchieren. Wo allerdings wirklich verkehrte Welt zu sein schien, dachte ich mir als wir mit dem Tuk Tuk die Beach Road entlang gedüst sind. Überall sonst – mit Ausnahme von New York vielleicht – wäre die Lage direkt am Wasser „prime location“ und somit teures Stück Land. Hier allerdings haben sich eher ärmlichere Familien angesiedelt. Meine bisherige Erklärung liegt darin, dass es sich um vom Tsunami betroffenes Gebiet handelt. Aber auch diese Vermutung muss ich noch recherchieren.
Was mich betrifft, so habe ich mich an die offensichtlichsten Umstellungen soweit gewöhnt. Der Teller wird unter fließendem Wasser mit der Hand sauber geschrubbt, entgegen der Empfehlung des Tropenarztes meines Vertrauens laufe ich hier nur barfuss – drinnen und draußen (allerdings nicht wenn ich das Gelände verlasse), daran zu denken jeden Schnipsel Essen und Essensreste wegzuräumen, um keine Ratten oder sonstiges Getier anzuziehen, sich geschätzte 23 mal am Tag die Hände zu waschen, um den „tropischen Kleb“ wegzubekommen. Dass ich bei jedem Betreten eines Raums erst mal mit meinem Blick das Zimmer nach Tieren absuche, ist womöglich etwas eigen; wird aber durchaus durch die Erfahrungen anderer gestützt. Mir graust es auch nicht vor jedem Tier. Die Tatsache, dass ein paar Ameisen auf dem Kachelvorsprung in der Dusche gestern einen Bienenkadaver an mir vorbeitransportierten, hat mich durchaus amüsiert.
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