Wunschdenken...
Freitagabend, Negombo. Kurz nach zehn. Ich liege in einem fremden Bett in einem Guesthouse. Die instrumentale Interpretation allseits bekannter Klassiker dringt in das eine Ohr. Discotypische Bassmusik in das andere.
Ich kann nicht schlafen. Mein Körper ist übersät von Stichen. Die unerwünschten Mitbewohner in der Matratze halten mich die ganze Nacht wach. Genauso wie überaus gefährlich wirkenden Laute des Nachbarhundes.
Ich wünsche mich selbst zurück ins Angel´s Home. Zurück in das mir bekannte Bett. Zurück zu den für mich mittlerweile beruhigenden Geräuschen der Grillen, Streifenhörnchen und Vögel. Ich nutze die unfreiwillig schlaflose Nacht, um über die vergangene Woche nachzudenken.
Irgendwann schlafe ich erschöpft ein. Zwei Stunden später wache ich auf. Mein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Ich liege noch immer in dem gleichen Bett. In der gleichen mir unbekannten Stadt. Und fürchte mich vor der nächsten Nacht.
Meine vierte Woche. Die Motivation ist zurück. Ich freue mich, wenn die Mädchen aus der Schule kommen und jede Einzelne lächelnd „Good afternoon, Lisa!“ sagt.
Die Mädchen und ich sind uns vertraut. Einige mehr, andere weniger. Einige kommen immer wieder auf mich zu, suchen Zuneigung und Gespräche. Manche verziehen das Gesicht wenn sie mich sehen. Ich nehme es schmunzelnd entgegen. Ich weiß selbst, dass ich mich mit einigen mehr auseinandersetze und mit anderen weniger. Vorzugsweise mit den Mädchen, die auch auf mich zukommen. Ein Teufelskreis.
Ich nehme mir selbst vor, dies ein bisschen aufzuholen. Das Gespräch mit denen zu suchen, die mir bisher noch mit Distanz gegenüberstehen. Es sind Kinder, so schwer kann das nicht sein. Hoffe ich zumindest.
Während einiger Englischnachhilfestunden überkommt mich ein Mitleidsgefühl gegenüber meiner ehemaligen Lehrer. So fühlt es sich also an, wenn man etwas lehren möchte, dies allerdings auf taube Ohren stößt. Wenn auf die mühevoll vorbereiteten Stoffeinheiten mit Gelächter und Fremdbeschäftigung reagiert wird.
Hallo Frustration, schön dich kennenzulernen!
Ich muss mich selbst bremsen, um das ein oder andere Kind nicht aus der Nachhilfe zu verbannen. Vermutlich liegt da auch das verziehende Gesicht einiger Mädchen begraben.
Kinder können manchmal grausam sein. Ich allerdings, sicherlich auch.
Da ich ein Mädchen nicht zurückgeben kann, wie ein nicht passendes Kleidungsstück, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich aktiv damit auseinanderzusetzen und einen Weg zu suchen und zu finden, um deren Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft zu gewinnen. Auch dies sollte nicht so schwer sein. Hoffe ich ebenfalls.
Eine besondere Aufgabe kommt von meiner Praktikumsbetreuerin Julia: Feedback auf allen Ebenen! Und eine weitere interessante Frage hinterher: Was würden wir ändern/beibehalten wenn wir rein hypothetisch das Heim übernehmen würden?
Die Gehirnzellen laufen auf Hochtouren. Schnell kristallisieren sich die unterschiedlichen Studiengänge heraus. Ich denke mit dem Hintergrundwissen des Medien- und Bildungsmanagementes, Kerrin und Anne mit dem der angewandten Kindheitswissenschaften.
Ich mache mir viele Gedanken über Personal, Organisation und Struktur. Kerrin und Anne viel über die Kinder an sich. Am Ende erarbeiten wir eine befriedigende Mischung aus beiden. Aber für mich unbefriedigend in der Tragweite.
Ich denke „zu deutsch“. Für mich völlig logische Gedankengänge wie Personalmeetings, regelmäßiges Feedback für alle „Mitarbeiter“ und Einteilung nach Kompetenzen lassen sich einfach auf Grund der hier vorherrschenden Arbeitsmoral nicht umsetzen oder tragen keine Früchte. In Deutschland fluche ich oft über den „Überorganisationsimpuls“. Das stetige, penible Planen und Organisieren. Hier fluche ich über das gegenteilige Verhalten.
So etwas lernt man nicht im Studium. So etwas lernt man nur in der großen weiten Welt. Oder eben in Sri Lanka.
Freitagmittag: Frank offenbart uns, dass er uns in ein freies Wochenende schickt.
Überforderung und drei ungläubige Gesichter. Die Begründung ist so einfach wie naheliegend: Nach vier Wochen bedarf es einfach zwei Tage Auszeit. Die Motivationslosigkeit der vergangen Woche war wohl offensichtlich. Unsere Sachen sind schnell gepackt und das Ausflugsziel ist klar: Negombo. Hier sind wir wieder am Anfang, oder am Ende - je nach Sichtweise. Die Ruhe für mich selbst, die ich mir letzte Woche noch abseits des Heimes wünschte, ersehne ich mir nun wieder herbei. Verrückt diese Welt, manchmal.
Nur eine Fahrstunde entfernt, aber ein ganz anderes Sri Lanka. Dahin sind die Regeln der Körperbedeckung und des anständigen Benehmens. Dahin, die von mir manchmal so verfluchte Ruhe im Sinne von Verlangen nach Abwechslung.
Willkommen zurück in der westlichen, singhalesisch angehauchten Welt! Ich erlebe doch tatsächlich einen Kulturschock auf einem ganz anderen Niveau. Der umgekehrten Seite von vor vier Wochen.
So weit ist nun also schon. Ich muss mir selbst noch Gedanken darüber machen, ob dies gut oder schlecht ist. Zum jetzigen Zeitpunkt nicht definierbar. Satt der geplanten Rückfahrt am Montag fahren wir bereits Sonntag zurück. Ich lächle erleichtert, als ich meinen Rucksack wieder in dem mir vertrauten Zimmer abstelle und mich auf die, von mir mittlerweile sehr lieb gewonnene, Terrasse setze.
Von hier hat man einen wunderschönen Ausblick auf den Sonnenuntergang:
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