Never alone...?!
„Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit“. Irgendwo, irgendwann las ich dieses singhalesische Sprichwort einmal. Jetzt fiel es mir wieder ein. Und es scheint mir die vergangene Woche richtig zu umschreiben. Wenn auch auf meine eigene, etwas eigensinnige Interpretationsweise.
Die Tage hier sind kurz. Kurz vor sieben geht die Sonne auf. Kurz nach sechs geht sie wieder unter. Aber die Tage hier können einem manchmal schier endlos erscheinen. So ging es mir vergangene Woche:
Es beschlich mich an einigen Tagen ein Gefühl der Motivationslosigkeit. Ein Gefühl des „Die Decke fällt mir auf den Kopf“. Ein Gefühl des „Ich wünsche mir meine Wohnung, mein Zimmer und mein Bett zurück“. Und vor allem: „Ich wünsche mir Ruhe für mich selbst.“!
Und mit diesen, wenn auch wie ich glaube, recht natürlichen Gedanken nach drei Wochen, erschienen mir die Tage viel länger als sie in Wirklichkeit waren.
Wie kam es, zu dieser für mich bisher persönlich schwierigsten Woche: Ich kann es weder an einem bestimmten Ereignis, noch an bestimmten Personen festmachen. Nicht am Angel´s Home oder an den Mädchen. Es ist ein rein subjektiver Eindruck und eine Verkettung von recht unspektakulären und keinesfalls negativen Ereignissen.
Ich habe mich in der dritten Woche hier im Heim komplett eingelebt. Ich kenne (fast) alle Namen, hörten sie sich in der ersten Woche für mich noch alle absolut gleich an - und die dazugehörigen Gesichter der Mädchen. Ich kenne einige Eigenarten, sowohl die positiven als auch die „negativen“. Wobei ich sagen möchte, dass keines der Mädchen hier negative Eigenschaften hat. Einfach nur dem Alter entsprechende Allüren.
Ich weiß ganz genau, welches Mädchen sich auf welchem Stand bezüglich der Englischnachhilfe befindet und kann somit mittlerweile bedürfnisgerecht planen. Und empfinde es jedesmal als kleines Erfolgserlebnis, wenn sie nach der Nachhilfe mehr können als davor. Aber auch ein bisschen Frustration, wenn sie das Gelernte die Woche darauf schon wieder vergessen haben.
Mein erste, eigene Computerstunde, lief besser als gedacht. Die kleinen Damen können jetzt Dateien an E-mails anhängen. Ich hoffe nächste Woche auch noch.
Montag hatten die Mädchen frei. Einer der vielen Feiertage in Sri Lanka. Auch einer der Tage, die einfach kein Ende finden wollten. Von morgens bis abends ausnahmslos alle Kinder um sich herum haben: auch für mich als Freund von Kindern, ein Drahtseilakt zwischen meinem persönlichen „Nervenbarometer“ und dem Wissen um das Aufmerksamkeitsverlangen der Kinder.
Auch abends, als alle Kindern seelenruhig schliefen und die sich ständig überschlagenden Kinderstimmen verstummt waren, kein wirklicher Rückzugsort außer der Schlaf selbst.
Eine für mich persönlich, entscheidende Grenzerfahrung nach drei Wochen.
So wenig Gedanken ich mir im Vorfeld darüber machte, wie es sein wird, permanent von Menschen umgegeben zu sein, so sehr wird mir die Trageweite dieses Faktes hier bewusst.
Dienstag - drei Praktikanntinen, ein Gedanke: Wir müssen raus!
Meine Praktikumsbetreuerin Julia verstand diese Forderung sofort und verständnisvoll. Noch am gleichen Abend gingen wir alle zusammen essen. Wie auch die Wochen davor, ließen Julia und Frank uns wieder an ihrem gesammelten Wissen über das Land und die Leute teilhaben und erklärten uns so manche Kuriositäten.
Ein ausgelassener Abend, nach welchen wir mit gestärkten Nerven zurück ins Heim kamen.
Hier ein großes Dankeschön an Julia und Frank, die es uns ermöglichen, durch offene und ehrliche Gespräche, die Sichtweise auf bestimmte Dinge zu korrigieren. Oder auch uns in persönlichen Eindrücken bestärken und sich den wahrscheinlich von vielen Praktikantinnen oft wiederkehrenden Fragen geduldig stellen. Die uns durch diese Abende ganz nebenbei eine wirklich einfache, aber überaus meist sehr gelungene Abwechslung verschaffen. Welche es auch ermöglichen, sich privat etwas besser kennen und verstehen zu lernen.
Eine Abwechslung kam Freitag dann von ganz anderer Seite: Den Mädchen selbst. Die Geburtstage aller im Februar geborenen Mädchen wurden gefeiert.
Und ich staunte nicht schlecht: Würde ich jemals auch nur im Ansatz so gut tanzen wie die Mädchen, würde ich wahrscheinlich den Hut vor mir selbst ziehen.
Die bollywood-lastige Musik in Verbindung mit den farbenfrohen Lichterketten und den hypnotisierenden Bewegungen der Mädchen ergab ein Bild wie aus einem der Bollywood-Film per se.
Ich kam mir mit meinen, sowieso schon spärlich vorhandenen Tanzkünsten, dagegen ziemlich unbeholfen vor.
Es war wirklich ein schöner Abend, nach welchem ich unendlich müde ins Bett fiel.
Ein wirklich schöner und zugleich grenzwertiger Tag sollte dann Sonntag folgen: Besuchertag!
Schön wenn man sah, wie die Kinder strahlend zum Tor liefen, um Mama und/oder Papa in Empfang zu nehmen und den liebevollen Umgang zwischen Eltern und Kind bestaunen durfte.
Einem die Zornesröte ins Gesicht treibend, wenn:
...manche Kinder, jedes mal, wenn das Tor sich öffnete, in Erwartungshaltung erstarrten, um am Ende der Besucherzeit festzustellen, dass niemand vorbeikam um sie zu sehen.
...man sah, wie manche Väter sich lieber mit ihren Handy beschäftigten als mit ihrer Tochter.
...man beobachten konnte, welch ein liebevoller Umgang mit den Kleineren, von daheim mitgebrachten Geschwistern gepflegt wird. Das Kind, welches hier im Heim lebt, allerdings nur als Randzuschauer der glücklichen Familie agiert.
...ich selbst zu der Erkenntnis gelangte, dass ausreichend Geld vorhanden ist, um die neue Familie zu versorgen, allerdings für das Kind aus der vorherigen Ehe nicht. Es ist dann einfach unerwünscht.
Man spürt dabei die Machtlosigkeit, die einen überkommt, wenn das Bewusstsein eintritt, an dieser Sache einfach nichts ändern zu können. Es ist schier unmöglich, den Mädchen zu erklären, warum manche Dinge so sind wie sie sind. Ich verstehe sie doch selbst kaum.
Aber ich hatte den Eindruck, dass die Kinder selbst besser damit umgehen können als ich selbst. Erstaunliche Leistung!
An dieser Stelle ein Dankeschön an meine Eltern und Großeltern für den verständnisvollen und liebevollen Umgang mit ihren Kindern und Enkelkindern.
Denn ich konnte lernen, dass dies eben nicht so selbstverständlich zu sein scheint.
Aber es sollte ein wenig Entschädigung geben. Kleiner Aufwand, riesengroße Wirkung: Today Beach! Es gibt ja manchmal so Ereignisse, die man nicht beschreiben kann, man muss dabei gewesen sein. Dies ist ein solches Ereignis. Ich habe davor noch nie jedes einzelne Kind so ausgelassen und erfreut gesehen. Sich einfach nur im Sand suhlen und von Wasser bespritzen lassen. Bei uns wird man so etwas beschreiben wie: Weihnachten und Ostern zusammen.
Kleiner Aufwand, aber riesengroße Wirkung.
Ein mehr als gelungener Abschluss, dieser sehr durchwachsenen Woche.
Heute, während ich jetzt die letzten Sätze dieses Berichtes schreibe und somit auch noch einmal die Möglichkeit hatte, alles Revue passieren zu lassen, kann ich behaupten, meine etwas negative Grundstimmung überwunden zu haben.
Wie gesagt, eine rein subjektive Stimmung ohne ausschlaggebenden Punkt.
Man sollte sich nur selbst eingestehen und sich dessen bewusst sein, dass manchmal so ein Gefühl einfach aufflammen kann. Ohne Vorwarnung, ohne bestimmten Grund. Man sollte es auch einfach ein wenig zulassen. Als Schutz davor, solch ein Gefühl als Dauergast in sich zu tragen. Denn genau so schnell wie es kam, ist sie nun auch wieder verschwunden.
Und ich freue mich auf meine vierte Woche.
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